Bernd Stegemann wirft in seinem Buch einen Blick auf Kernpunkte der Identitätspolitik wie Opferkult, Cancel Culture, Critical Race Theory oder Wokeness. Und er befasst sich dabei auch mit der Zukunft des Universalismus, der von identitätspolitischen Ideologien angegriffen wird. Das Buch bietet einen lesenswerten und nachvollziehbaren Einblick in diese Auseinandersetzungen.
Der Verlag schreibt zum Buch von Bernd Stegemann:
«Identitätspolitik ist ein sperriges Wort und viele aufgeregte Debatten kreisen darum. Keiner vermag es so recht zu erklären, dabei ist der Kern dieses Kampfbegriffs so alt wie die Menschheit. »Wir zuerst!« ist ein Schlachtruf, der zu allen Zeiten ertönt ist. »America first« ist Identitätspolitik, aber auch »Black Lives Matter« nutzt die Schlagkraft, die von dem »Wir zuerst!« ausgeht. Beiden Parolen ist eine rätselhafte Mischung aus Plattitüde und Angriff zu eigen. Natürlich zählen Schwarze Leben. Doch der Ruf wird militant, wo die Aussage »All Lives Matter« nicht mehr akzeptiert wird. Warum sollen »alle Leben« nicht zählen, und warum sollen nur »Schwarze Leben« zählen? Oder geht es darum gar nicht? Mit diesen Fragen, die ins Herz der Identitätspolitik führen, beginnt Bernd Stegemann seinen ideengeschichtlich fundierten Essay…»
Zitate aus dem Buch von Bernd Stegemann:
Bernd Stegemann geht in einem Kapitel genauer auf die doppelten Standards ein, die von der Identitätspolitik verwendet werden:
«Die zivilisierende Kraft der Demokratie besteht darin, dass alle Seiten ihre Interessen nach den gleichen Regeln beanspruchen dürfen. Identitätspolitik verletzt diese Gleichheit, indem sie verschiedene Regeln für die verschiedenen Gruppen fordert.» (Seite 9)
Ein weiteres Problem der Identitätspolitik ist die starke Trennung in Gut und Böse und die damit verbundene Komplexitätsreduktion:
«Identitätspolitik findet immer mehr Zuspruch, da sie einen magischen Ausweg aus dieser Lähmung durch Komplexität verspricht. Sie reduziert die Komplexität auf eine Frontlinie zwischen Gut und Böse. Ist die Front einmal etabliert, stehen alle Beteiligten automatisch auf einer der beiden Seiten. Und die Seite, die die Unterscheidung in Gut und Böse vorgenommen hat, hält sich naturgemäss für die gute. Ab jetzt kann jede Kritik dadurch abgewehrt werden, da sie von der anderen Seite der Front vorgebracht wird. Diese Immunisierung hilft nicht nur gegen sachliche Argumente, sondern auch gegen Einwände, die die Methode betreffen, überhaupt eine Frontlinie ziehen zu wollen. Kritiker sind nicht nur böse, wenn sie widersprechen, sie sind auch böse, wenn sie die Front nicht akzeptieren wollen. So gelten inzwischen Kritiker der Identitätspolitik sogar als böse, wenn sie nicht ihre Forderungen, sondern ihre Methode ablehnen.» (Seite 21)
Während die identitätspolitische Bewegung sich als fortschrittlich präsentiert, ist sie im Gegensatz dazu an vielen Stellen regressiv:
«Die Empörungsroutine der Identitätspolitik verschafft hierbei in einer medial erhitzten Gesellschaft Vorteile. Doch für die gesamte politische Öffentlichkeit bedeutet gerade diese dauernde Empörung einen Rückschritt hinter die erreichten Fähigkeiten, komplexitätstauglich zu agieren. Was im Selbstbild linker Identitätspolitik fortschrittlich sein will, wirkt somit in der politischen Praxis regressiv. Die Folgen dieser Regression verbinden sich mit anderen regressiven Bewegungen zu einer wachsenden Gefahr für die ausdifferenzierten Gesellschaften.» (Seite 22)
Fazit & Ergänzung:
Bernd Stegemann geht in seinem Buch auf viele Problemzonen der Identitätspolitik ein. Zum Beispiel die Angriffe auf den Universalismus, die ideologischen Sackgassen der Identitätspolitik und ihren Herrschaftsanspruch. Die Lektüre zeigt auch, weshalb Identitätspolitik für Demokratie und Gesellschaft zur Bedrohung werden kann, zum Beispiel durch die Verstärkung von Polarisierungen.
Wer eine lesbare Einführung in die Identitätspolitik und eine Kritik dieser Strömungen aus einer linken Position sucht, ist mit dem Buch von Bernd Stegemann gut bedient.
Der Autor ist Professor für Dramaturgie und Kultursoziologie an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch.
Quelle:
«Identitätspolitik» von Bernd Stegemann, Matthes & Seitz Verlag Berlin 2023
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