Gesine Dornblüth und Thoma Franke legen mit ihrem Buch «Jenseits von Putin – Russlands toxische Gesellschaft» ein kenntnisreiches Werk über die Entwicklung und den Zustand der russischen Gesellschaft vor. Der Angriffskrieg Russlands hat nicht nur die Ukraine, sondern auch den Aggressor Russland ins Zentrum der Aufmerksamkeit katapultiert. Zu beiden Staaten gibt es in breiten Kreisen wenig fundiertes Wissen. Dornblüth und Franke beschreiben gut nachvollziehbar und illustriert mit zahlreichen Gesprächen mit Russinnen und Russen, wie die toxische Gesellschaft Russlands entstanden ist. Sie schildern den Nationalismus, die patriotische Jugendbewegung Naschi, die Opposition gegen Putin und sein Regime, die Reaktion der Bevölkerung auf Kriege der Sowjetunion und Russlands.
Der Verlag schreibt zum Buch «Jenseits von Putin»:
«Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, schien das großen Teilen der russischen Gesellschaft egal zu sein. Das ist nicht überraschend. In Russland hat es nie eine Friedensbewegung gegeben, die Gesellschaft hat sich mit der Rolle Russlands innerhalb der Sowjetunion nie kritisch auseinandergesetzt.
Seit Jahren wird das russische Expansionsstreben davon begleitet, dass gesellschaftlich das Recht des Stärkeren gilt. Gewalt wird von vielen als Mittel der Politik akzeptiert. Die Überzeugung, politisch ohnehin nichts ausrichten zu können, sitzt tief. Dazu kommt die Angst, mit der Staatsmacht in Konflikt zu geraten.
Die Russlandkenner Gesine Dornblüth und Thomas Franke erklären, woher das kommt. Ihre Reportagen und Analysen führen uns durch drei Jahrzehnte, in denen nationalistische Kräfte über Verfechter demokratischer Werte die Oberhand gewannen und Chauvinismus zu staatlicher Politik wurde….
Dabei wird deutlich: Der zukünftige Frieden in Europa hängt davon ab, ob wir Russlands Gesellschaft richtig verstehen und entsprechend handeln.
Klar ist: Selbst wenn Putin geht, die russische Gesellschaft wird bleiben. Der zukünftige Frieden in Europa hängt davon ab, ob wir Russlands Gesellschaft richtig verstehen und entsprechend handeln.»
Zitate aus dem Buch «Jenseits von Putin»:
Über Putins gefährliches Vermächtnis an die Welt:
«Putin ist es in den mehr als zwanzig Jahren seiner Macht gelungen, bei der älteren Generation die Angstreflexe der Sowjetunion wieder zu wecken und die junge Generation von ihren weltweit vernetzten Altersgenossen in anderen Ländern weitgehend abzukoppeln. Er hat es geschafft, ein komplett falsches Bild der Geschichte und der Gegenwart in ihre Köpfe zu pflanzen. Angehörige der Generationen, deren politische Sozialisation nach Putins Aufstieg zum Präsidenten im Jahr 2000 stattfand, sind in der Masse auf Nationalismus getrimmt. Vor allem aber grenzen sie sich aggressiv von mutmasslich anderen ab, betrachten sie als Feinde und sich selbst als Opfer und Angegriffene. Es wird Jahrzehnte dauern, das wieder gerade zu rücken, wenn es überhaupt geht.
Wenn die Naschi und ihre Nachfolger eigene Kinder haben, ist der Zweite Weltkrieg lange her, und je länger ein Krieg her ist, desto weiter verschwinden sein Schrecken, das Trauma und auch die Lehren, die die Zeitzeugen und ihre Nachkommen daraus gezogen haben, aus dem Gedächtnis. Viele werden über den Zweiten Weltkrieg und die Sowjetunion nichts wissen, was nicht von massiver Propaganda verunstaltet ist. Sie werden die Feindbilder an die nächste Generation weitergeben. Und sie werden denen, die die Vergangenheit erforschen, nicht glauben. Diese Generationen sind Putins gefährliches Vermächtnis an die Welt.» (Seite 64/65)
Zum Vergleich Russlands mit dem Dritten Reich und Putins mit Hitler:
«Je länger der Vernichtungsfeldzug Russlands gegen die Ukraine dauert, desto öfter hören wir den Vergleich Putins mit Hitler, Russlands mit dem Dritten Reich. Unabhängig davon, ob solche Vergleiche tragen – ein Weg wie in Deutschland nach 1945 wird in Russland nicht möglich sein – Deutschland lag in Trümmern und war besetzt. In Deutschland dauerte die Nazidiktatur zwölf Jahre, in Russland werden die Menschen seit hundert Jahren mit Unterbrechungen totalitärer Gehirnwäsche ausgesetzt. Russland wird sehr wahrscheinlich nicht besetzt werden und es wird keine Siegermächte geben, die so etwas wie eine Entnazifizierung anordnen könnten. Die Impulse müssen aus der russischen Gesellschaft kommen.» (Seite 203)
Wie weiter mit Russland nach dem Krieg?
«Wenn der Krieg einmal zu Ende ist, darf es kein Zurück zur Normalität mit Russland geben. Sollte sich Russland ganz oder auch nur teilweise aus der Ukraine zurückziehen und Putin an der Macht bleiben, wird er alles daransetzen, die Niederlage als Resultat einer Aggression der NATO darzustellen. Das tut er bereits im Herbst 2022. Er wird auf Rache sinnen. Das Gleiche gilt, wenn Putin aus welchen Gründen auch immer gehen sollte und ein ähnliches Regime die Macht übernimmt. Und selbst wenn Menschen an die Macht kommen, die umsteuern, wird das nicht reichen. Die russische Gesellschaft muss sich grundlegend ändern. Deshalb ist es dringend geboten, all jene zu unterstützen, die die Chance haben, in die russische Gesellschaft hineinzuwirken und Debatten in Russland anzustossen. Bleibt das aus, besteht die Gefahr weiter, dass die russische Gesellschaft einen neuen nationalistischen Tyrannen und weitere Krieg gutheisst.» (Seite 203)
Gesine Dornblüht war von 2012 bis 2017 Deutschlandfunk-Korrespondentin in Moskau. Sie hat seit Beginn der 90er-Jahre zahlreiche Recherchereisen nach Russland und in den gesamten postsowjetischen Raum unternommen.
Thomas Franke ist Journalist, Buchautor, Regisseur und Produzent unter anderem für den Deutschlandfunk. Seit mehr als dreissig Jahren berichtet er über die Ost-West-Beziehungen, den Schwarzmeerraum und den Balkan.
Quelle / Buchtipp: Dornblüth, G. und Franke, T.: Jenseits von Putin. Russlands toxische Gesellschaft, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2023.
Im YouTube-Kanal der «Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit» ist ein interessantes, informatives Gespräch mit Gesine Dornblüth und Thomas Franke zu hören:
Krieg in Europa: Jenseits von Putin. Russlands toxische Gesellschaft