Till Randolf Amelung hat mit «Irrwege» ein sehr informatives Buch veröffentlicht zu den Themen Identitätspolitik und Transaktivismus. Die Beiträge geben auch Einblicke in die Konflikte innerhalb der queeren Szene. Wer allerdings mit diesen Begriffen und Positionen ganz unvertraut ist, wird den Ausführungen wohl nicht überall gleich folgen können. Doch gibt es immer wieder sehr interessante und gut aufnehmbare Passagen. Das gilt vor allem für den Beitrag von Till Randolf Amelung mit dem Titel «Identitätspolitik – Stichpunkte zu einem Irrweg im queeren Aktionismus».
Der Verlag schreibt zum Buch von Till Randolf Amelung:
«Das Engagement für die Rechte sozialer Minderheiten sieht sich immer stärkerer Kritik ausgesetzt. Es gehe bloß um „Identitätspolitik“, die an einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel nicht interessiert sei. Das sind Folgen eines poststrukturalistisch geprägten Theorie- und Politikverständnisses. Die Rolle der Sprache wird übermäßig betont – die soziale Realität gerät in den Hintergrund. Diese Entwicklung wird in allen Feldern der Antidiskriminierungs- und Menschenrechtspolitik unter dem Modewort „Intersektionalität“ forciert. Dieser Sammelband befasst sich mit den Auswirkungen, die sich für queere Politik ergeben. Mit 10 Beiträgen und ihren Autor_ innen, die exemplarisch dafür stehen, dass nicht jede_r den Glauben an die Kraft kritischer Analysen und Auseinandersetzungen begraben hat.»
Till Andolf Amelung ist ein Insider der queeren Szene. Es gelingt ihm immer wieder, sich im «Minenfeld» zerstrittener Fraktionen nicht in ein bestimmtes Lager ziehen zu lassen und differenzierte Positionen einzunehmen. Weitere Beiträge stammen von Paula Busch, Ingo Elbe, Petra Klug, Eszter Kováts, Aaron Lahl, Patsy l’Amour laLove, Sabri Deniz Martin, Vojin Saša Vukadinović, André Windhorst und Sonja Witte.
Beiträge / Inhaltsverzeichnis
Till Randolf Amelung:
Identitätspolitik – Stichpunkte zu einem Irrweg im queeren Aktivismus.
Sabri Deniz Martin:
Diffamierung als Selbstentblössung – ein Rückblick auf die Beissreflexe-Debatte.
Eszter Kováts:
Individualisierung gesellschaftlicher Problemlagen – Eine Kritik an heutiger Praxis der Intersektionalität.
Aron Lahl:
Analyzing Queer – Zu Antke Engels und anderen Entwürfen einer queeren Psychoanalyse.
Patsy l’Amour LaLove:
Kann Begehren diskriminierend sein?
Sonja Witte:
Am «allergischen Punkt des Sexus» – Überlegungen zu Ekel, Lust und Sexualmoral.
Paula Busch:
Warum Unwissenheit keine Transphobie ist – Transformatives Lernen und Allyship für alle.
Till Randolf Amelung:
Queerfeministischer Transaktivismus auf Twitter – Oder: An allem ist die Cis-Frau schuld!
Ingo Elbe:
«…..it’s not systemic» – Antisemitismus im akademischen Antirassismus.
Petra Klug:
Vom Wesen des Christentums zum Unwesen des Islamismus – Geschichte und Aktualität von emanzipatorischer Religionskritik.
André Windhorst:
Möglichkeiten für kritische postkoloniale Theorie am Beispiel Anibal Quijanos.
Vojin Saša Vukadinović:
Das rassistische Bedürfnis – Gender-Theorie, xenophile Projektion, narzisstische Kränkung.
Zitate aus dem Buch «Irrwege» von Till Randolf Amelung
Till Randolf Amelung schreibt:
«Meine These, die ich im Folgenden entwickeln möchte, ist, dass die negativen Entwicklungen mit der Etablierung poststrukturalistischer Theorien als Fundament in politischem Aktivismus und Bildungsarbeit zusammenhängen. Ich werde zeigen, dass diese Theorien Praktiken begünstigt haben, die sich nicht mehr für nachhaltige und strukturierte Arbeit interessieren, die politische Veränderungen herbeiführen könnten, sondern stattdessen Empörungswellen ohne nachhaltigen Effekt produzieren.» (Seite 12)
Till Randolf Amelung kritisiert einen fehlgeleiteten Aktivismus:
«Die Gewichtung auf Sprache und Diskurse hat gerade im queeren bzw. queerfeministischen Aktivismus dazu geführt, dass alles daraufhin abgeklopft wird, ob Äusserungen und Darstellungen für Marginalisierte unvorteilhafte Machtverhältnisse sowie Vorurteile am Leben erhalten. Dies wiederum hat sich in Teilen so verselbständigt, dass dieser Blick auf alle möglichen Anlässe und Gegenstände angewandt wird und zu entrüsteten Protesten auch gegenüber banalsten Dingen führt, die jedoch bei näherem Hinsehen das dahinter verborgene Problem weder lösen noch erfassen können.» (Seite 12)
Wer ist Till Randolf Amelung? Der Querverlag schreibt dazu:
«Till Randolf Amelung ist freier Autor mit Schwerpunkt auf geschlechterpolitischen Themen und hauptberuflich aktuell im Veranstaltungsmanagement einer Gedenkstätte tätig. Nach seinem Studium der Geschlechterforschung und Geschichtswissenschaften an der Georg-August-Universität zu Göttingen beschäftigte er sich beruflich zunächst mit geschlechtersensibler Gesundheitsversorgung sowie Diversity und Gleichstellung. Darüber hinaus hat er zehn Jahre Erfahrungen im LGBTQ-Aktivismus hinter sich. Missstände in Wissenschaft und Aktivismus stehen im Zentrum seiner Kritik. Texte von ihm wurden in ausgewählten Sammelbänden und Medien wie der Jungle World, ZEIT Online, dem Schweizer Monat und der Siegessäule veröffentlicht.»
Quelle:
„Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik„, von Till Randolf Amelung (Hg.),
Querverlag GmbH 2020.