Carlo Masala hat der Zeitschrift «Internationale Politik» ein interessantes und sehr lesenswertes Interview gegeben über Destabilisierung, Desinformation und demokratische Wehrhaftigkeit. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie sich die liberale Demokratie gegen autokratische Angriffe verteidigen lässt.
Eine wehrhafte Gesellschaft müsse in der Lage sein, für ihre Werte zu kämpfen – und das eben nicht nur im militärischen Sinne:
«Letztlich heißt es, sich das Privileg bewusst zu machen, in einer freiheitlichen Demokratie zu leben, und bereit zu sein, ihre Fundamente mit allen Mitteln zu verteidigen.»
Carlo Masala befürchtet, dass das Bewusstsein für dieses Privileg abnimmt:
«Seit ein paar Jahren leben mehr Menschen in autokratischen Staaten als in demokratischen. Auch in Deutschland und Europa ist die Überzeugung auf dem Rückzug, dass es etwas Besonderes ist, Teil einer freien, demokratischen Gesellschaft zu sein. Und damit wird auch die Bereitschaft schwächer, diese Werte zu verteidigen.»
Im Interview kommt auch der Sicherheitsbegriff des Politikwissenschaftlers Richard Löwenthal zur Sprache: „Sicherheit ist die Freiheit der gesellschaftlichen Entwicklung.“
Im Kern geht es dabei um die Freiheit von Gesellschaften, selbst zu entscheiden, wie sie leben wollen.
Das sieht Carlo Masala allerdings nicht nur militärisch. Gegen uns werde ein hybrider Krieg geführt, der sich gegen unsere Art und Weise zu leben richtet, gegen die Freiheit, gegen die Demokratie:
«Wir müssen zwar nicht befürchten, dass russische Panzer durch Berlin fahren oder russische Interkontinentalraketen hier niederregnen. Aber gegen uns wird seit Jahren ein Desinformations- und Destabilisierungskrieg geführt, der Beschränkungen der Freiheit und der gesellschaftlichen Entwicklung zur Folge hat.»
Carlo Masala verweist auf einen seiner akademischen Lehrer, Ulrich Matz, der einmal gesagt habe: „Das Problem der Demokratie ist, dass zu wenige Demokraten für sie sterben wollen.“ Masala führt dazu aus:
«In jeder Ideologie, ob im radikalen Islamismus, im Kommunismus oder im Faschismus, gibt es eine erhebliche Anzahl fanatisierter Menschen, die bereit sind, ihr Leben für diese Ideologie zu geben. Das ist bei der Demokratie nicht der Fall – sie ist keine Ideologie. Die Demokratie akzeptieren wir als gegeben. Selbst wenn sie auf dem Spiel steht, ist die Demokratie nicht in der Lage, Massen zu mobilisieren.»
Wer ist Carlo Masala?
Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Ausserdem ist er einer der Hosts des Podcasts „Sicherheitshalber“. Er wurde wurde als Kind einer österreichischen Verkäuferin und eines italienischen Gastarbeiters im Jahr 1968 in Köln geboren. Sein neues Buch mit dem Titel „Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende“ soll im Sommer 2023 beim Verlag C. H. Beck in München erscheinen.
Quelle:
„Ich halte unsere Gesellschaft für nicht besonders wehrhaft“ (Internationale Politik)
Anmerkungen:
☛ Carlo Masala legt in diesem Interview ein für Demokratien eminent wichtiges Thema auf den Tisch. Es ist tatsächlich zu befürchten, dass ein grösserer Teil der Bevölkerung in westlichen Gesellschaften Demokratie und Rechtsstaat für selbstverständlich nimmt und keine Idee davon hat, dass diese Errungenschaften verteidigt werden müssen, wenn sie nicht verloren gehen sollen.
☛ Carlo Masala spricht auch den hybriden Krieg an, der seit einigen Jahren von Russland gegen demokratische Staaten geführt wird, insbesondere durch Desinformations- und Destabilisierungskampagnen. Dazu hier mehr:
Osteuropa-Historiker Karl Schlögel über russische Propaganda-Strategien
Russland: Verschwörungstheorien sind Teil der Propaganda
Italien: Russische Propaganda schwappt in Talkshows
Isjum: «Inszenierung» als russischer Propagandatrick
Anne Applebaum zu politischem Zynismus als Ziel russischer Propaganda
Russland: Propaganda als kollektive Verschwörungstheorie
Kriegsverbrechen in Butscha – Putins Propaganda verbreitet Verschwörungstheorien
Putinismus – Ideologie und Verschwörungstheorien
Russlands Einfluss auf deutschsprachige Verschwörungsgläubige
Russland: Verschwörungsideologien befeuern Angriff auf die Ukraine
Verschwörungstheorien von westlicher Einkreisung haben in Russland Tradition
In diesen Propagandakampagnen spielen auch westliche «Influencer» eine Rolle, die russische Desinformation als Multiplikatoren verbreiten. Ein Beispiel dafür ist der «Truther» und selbsternannte Friedensforscher Daniele Ganser. Siehe dazu beispielsweise:
Daniele Ganser und die Kreml-Propaganda vom «Majdan-Putsch» in der Ukraine
Wie Daniele Ganser das Butscha-Massaker für Putin glattbügelt und der Ukraine in die Schuhe schiebt
Daniele Ganser: Repetitives Gerede vom Putsch in der Ukraine
Auch die «Querdenker»-Szene übernimmt im Anschluss an die Corona-Pandemie intensiv russische Propaganda-Narrative:
Ukraine-Krieg: «Querdenker» fahren auf russische Propaganda ab
Corona-Skeptiker verbreiten fleissig Kreml-Propaganda
Videos als Propagandamedium für Verschwörungstheorien
Propagandamedien aus Russland verbreiten weiterhin Verschwörungstheorien zu Covid-19
Propagandamedien aus Russland fluten Westen mit Corona-Falschmeldungen