Das «Philosophie Magazin» hat ein Interview veröffentlicht mit der Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury. Sie hat ein Buch geschrieben über den politischen Umgang mit Frustrationen, aus denen Ressentiments entstehen können. Das Ressentiment sei eine Selbstvergiftung, die gesellschaftlich dramatische Ausmasse angenommen habe.
Cynthia Fleury wollte begreifen, inwiefern ressentimentgeladene Impulse dazu führen, dass Menschen in einem Zustand der Untätigkeit oder Gewalt gefangen bleiben. Das Buch sei aber zugleich auch ein Versuch, die rechtsstaatliche Demokratie als einen Apparat zur Verdauung von Frustrationen zu verstehen.
Cynthia Fleury schreibt:
«Die rechtsstaatliche Demokratie hilft dabei, Frustrationen abzubauen, da sie das einzige System ist, das um die Fähigkeit zur Kritik herum aufgebaut ist. Gerade deshalb liegt im Zentrum der Demokratie auch immer ein Zustand der Enttäuschung. Man sollte diese Enttäuschung oder demokratische Entzauberung aber nicht unbedingt als etwas Defizitäres lesen. Die Demokratie enttäuscht zwar, aber sie ist die einzige Regierungsform, die dies auch anerkennt und kollektive Mechanismen zur Korrektur dieser Enttäuschung hervorbringt, zum Beispiel durch freie Meinungsäußerung oder kollektive Aushandlungsprozesse.»
Wie soll die Politik mit Frustrationen und Ressentiments umgehen?
Für Cynthia Fleury ist die Frage wichtig, wie eine demokratische Gesellschaft Ressentiments eindämmen kann und was sie tun kann, um die objektiven Bedingungen abzuschwächen, die Ressentiments entstehen lassen. Die öffentliche Politik müsse alle gesellschaftlichen Bereiche und Instrumente einbeziehen, mit denen sich ressentimentgeladene Impulse korrigieren lassen, zum Beispiel Bildung, Kultur, Medien, Gesundheit, Pflege.
Daher verteidigt sie den Begriff des Sozialstaats ebenso wie den des Rechtsstaates:
«Die einzige Möglichkeit für die Demokratie, wieder eine Verbindung zu den Menschen herzustellen, besteht darin, den Rechtsstaat und den Sozialstaat so effizient wie möglich miteinander zu verknüpfen, um soziale Gerechtigkeit herzustellen.»
Frustrationen und Ressentiments können beruhigt oder politisch instrumentalisiert werden:
«Da die Demokratie auf dem Versprechen der Gleichheit beruht, ist sie besonders anfällig für Ressentiments. Autoritäre oder diktatorische Systeme, die von vornherein nicht auf Gleichheit abzielen, sind weniger anfällig dafür.»
Quelle:
Cynthia Fleury: „Die Sublimierung des Ressentiments gelingt uns immer weniger“ (Philosophie Magazin)
Anmerkung:
Frustrationen und Ressentiments werden politisch insbesondere instrumentalisiert durch extremistische und populistische Strömungen. Demokratische Kräfte müssen die Scheinlösungen der Extremisten und Populisten entlarven und selber eine handfeste, sorgfältige Politik anbieten. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass (a)soziale Medien durch ihre Algorithmen jene Stimmen verstärken, die auf die Instrumentalisierung von Frustrationen und Ressentiments setzen. Das ist nicht akzeptabel und Demokratien sollten von sozialen Plattformen verlangen, dass deren Algorithmen konstruktive, sachliche Äusserungen gegenüber Polemik nicht benachteiligen.