„Islamophobie“ ist ein Ausdruck, der in den letzten Jahren häufiger zur Anwendung kommt. Er wird vor allem verwendet von Islamisten und von Aktivisten, die der Identitätspolitik nahestehen. Wie problematisch dieser Begriff ist, zeigt sich erst, wenn man seine Herkunft und seine Funktion versteht. Seine unreflektierte Verwendung schadet liberalen Demokratien.
Der Begriff „Islamophobie“ ist irreführend, weil in ihm oft zwei unterschiedliche Phänomene vermischt werden – die ungerechtfertigte, also rassistisch motivierte Abneigung gegen Muslime und die notwendige Kritik am Islamismus.
Eines der grössten Privilegien von Religionen besteht in ihrem Anspruch auf „Respekt“. Dieser Respekt zeigt sich allzu oft als vorauseilende (Selbst-) Zensur bezüglich Kritik an Religion. Diese Form der Hochachtung verlangen alle Religionen gleichermassen. Während jedoch Kritik an der katholischen Kirche, am Papst oder am Christentum generell, gestärkt durch jahrhundertelange Auseinandersetzungen im Zeichen der Laizität, inzwischen als legitim anerkannt ist, wird die Kritik am Islam oft mit dem Vorwurf der Islamophobie zum Schweigen gebracht. Dabei spielt mit, dass es sich beim Islam um die Religion einer Minderheit in Europa handelt, die oft rassistischer Diskriminierung ausgesetzt ist. Der Vorwurf der Islamophobie wird instrumentalisiert eingesetzt als Kampfbegriff, um Kritik am Islamismus abzuwehren. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass ein Begriff wie „Christianophobie“ nicht existiert. Niemand, der das Christentum oder seine Exponenten kritisiert oder verhöhnt, wird als „christophob“ bezeichnet.
Woher stammt der Begriff „Islamophobie“?
Der Ursprung des Begriffs „Islamophobie“ ist nicht genau geklärt. Die Ethnologin Susanne Schröter schreibt dazu in ihrem Buch „Global gescheitert“:
„Der Begriff der Islamophobie wird in westlichen Ländern mittlerweile wie ein wissenschaftlicher Terminus technicusverwendet, doch was ist genau damit gemeint? Pascal Bruckner, einer der bekanntesten Vertreter der französischen Nouvelle Philosophie, hält ihn für eine Erfindung iranischer Islamisten, die ihn 1979 als diskursives Bollwerk gegen kritische Stimmen zur iranischen Revolution im Iran aufzubauen gedachten. Darauf hatte bereits Salman Rushdie hingewiesen, der von Khomeini wegen eines angeblich ketzerischen Buches in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. Rushdie beklagte eine neue globale Verdrehung der Debatte um den islamischen Extremismus. Nicht die Verfechter eines mörderischen Islamismus wie Khomeini, die andere mit dem Tode bedrohen, stünden am Pranger der Weltöffentlichkeit, sondern ihre Kritiker, deren Positionen als Phobien, also als krankhafte Wahnvorstellungen, verunglimpft würden.“
Für Rushdies Einschätzung spreche, dass mächtige islamistische Organisationen wie die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) den Begriff Islamophobie als Zensurinstrument nutzen und grosse Zusammenkünfte veranstalten, mit denen sie dieses Konstrukt auf die internationale Agenda setzen. Dazu schreibt Susanne Schröter:
„Die OIC ist ein Zusammenschluss islamischer Staaten, der 1990 die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islamverabschiedet hatte, in der die allgemeinen Menschenrechte vollständig negiert und der Scharia untergeordnet werden. Sie fordert, dass Islamophobie geächtet und unter Strafe gestellt wird. Unter Islamophobie versteht sie, ‚die Diffamierung des Islam sowie von Persönlichkeiten und Symbolen, die den Muslimen heilig sind‘.
Im europäischen Kontext hat die britische Nichtregierungsorganisation Runnymede Trust den Terminus in die öffentliche Debatte eingebracht. Sie definierte ihn als Bündel von abwertenden Zuschreibungen an Muslime. Dazu gehört die Auffassung, der Islam sei monolithisch oder gewaltaffin. Auch in Deutschland sattelten Sozialwissenschaftler auf den Erfolg versprechenden Trend auf.“ (Seite 75/76)
Instrumentalisierung des Islamophobie-Vorwurfs
Der Islamophobie-Vorwurf wir von Islamisten und postkolonialen Aktivisten aus dem Spektrum der Identitätspolitik überaus häufig instrumentalisiert zur Abwehr von Religionskritik in Bezug auf den Islam und im Speziellen auf den Islamismus. Die Philosophin Cinzia Sciuto schreibt dazu:
„Scharfe Kritik üben zu dürfen, nicht bloss an der politischen Verwendung von Religion, sondern auch an der jeweiligen Religion an sich oder an Religion im Allgemeinen, ist ein Menschenrecht und darf nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit einem Aufruf zur Intoleranz gegenüber ihren Anhängern.“
Werde der Islamophobie-Vorwurf blindlings und wahllos hervorgebracht, verliere man zudem die wahren Islamophoben aus den Augen. Die gebe es nämlich tatsächlich, „nämlich alle, die Muslime ihres Muslimseins wegen hassen.“
Mit dem Wort „Islamophobie“ mache man aus dem Islam ein Subjekt, das an sich schon schutzwürdig sei, schreibt Cinzia Sciuto, und weist darauf hin, dass nur Personen Rechtssubjekte sein können, nicht jedoch Religionen oder Ideen.
„Das Paradox besteht darin: Verschiebt man den Focus von den Personen auf die Religion, der sie angehören, werden diese Personen schutzwürdig aufgrund ihrer Religion, also in ihrer Rolle als Muslime, Christen und so weiter, und nicht, weil sie Personen sind. Dieser Ansatz führt dazu, dass alle Personen aus muslimischen Ländern, die selbst keine Muslime sind, auf einmal weniger Schutz verdienen. Das erfahren die zahlreichen atheistischen und ausgetretenen Flüchtlinge Tag für Tag am eigenen Leib, die sich in den Auffanglagern häufig denselben Formen der Diskriminierung ausgesetzt sehen, vor denen sie aus ihren Heimatländern geflohen sind.
Sie alle in die Kategorie der Islamophoben zu packen – einerseits die Rassisten und Fremdenfeindlichen, die es auf Muslime abgesehen haben, weil sie Muslime sind, und andererseits die Verfechter einer Kritik an allen Religionen in Namen er universalen Prinzipien von Demokratie, Gleichheit und der Menschenrechte – , sie über einen Kamm zu scheren, ist ein zutiefst ungerechter, intellektuell unaufrichtiger Schachzug, der vor allem extrem gefährlich ist und in erster Linie den Rassisten in die Hände spielt.“
Es ist noch nachvollziehbar, dass eine derartige Taktik von Fundamentalisten angewandt wird. Sie können nur davon profitieren, alles auf eine Frage des Rassismus zu reduzieren. Damit können Fundamentalisten die Vertreter der universalen Prinzipien von Demokratie, Gleichheit und der Menschenrechte diffamieren. Weitaus weniger verständlich ist es, wenn sich gewisse Intellektuelle vor diesen Karren spannen lassen, die sich selbst als progressiv und links bezeichnen. Das geschieht regelmässig durch Intellektuelle, die ideologisch durch Theorien der Identitätspolitik geprägt sind.
Freiheit der Religionskritik
Die Existenz von fremdenfeindlichen, rassistischen und antiislamischen Bewegungen dürfe nicht zu einem Alibi werden, um jede Kritik am Islam im Keim zu ersticken, fordert Cinzia Sciuto. Im progressiven Umfeld entstehe rund um den Islam zunehmend ein gefährliches Tabu, dessen Opfer vor allem Muslime selbst sind:
„Sie laufen Gefahr, ebenfalls als ‚islamophob‘ abgestempelt zu werden, wenn sie es wagen, bestimmte Dogmen und Praktiken der eigenen Religion zu hinterfragen.“
Solches geschieht regelmässig, wenn liberale Muslime, die dem politischen Islam kritisch gegenüberstehen, sowohl von Islamisten als auch von identitätspolitisch aufgeladenen Aktivisten als „islamophob“ gebrandmarkt werden. Davon betroffen sind muslimische Kritiker des Islamismus wie Saïda Keller-Messahli, Ahmad Mansour, Seyran Ateş, Bassam Tibi und Mouhanad Khorchide, aber auch säkulare und nicht-muslimische Autoren wie Hamed Abdel-Samad und Ayaan Hirsi Ali.
Man kann Aussagen dieser Personen mit Argumenten kritisieren. Sie pauschal mit dem Vorwurf der „Islamophobie“ zu diffamieren, ist ausserordentlich perfid. Identitätspolitisch aufgeladene Linke, die bei diesem Diffamierungs-Feldzug mitmachen, verraten urlinke universalistische Ideale.
Eine ganze Reihe dieser diffamierten Personen lebt seit Jahren unter Polizeischutz, Solange das so bleibt, haben wir in Europa ein Problem mit dem politischen Islam, das nicht mit einem Tabu belegt, sondern offen angegangen werden muss.
Islamophobie-Vorwurf in der Tradition von Blasphemie-Paragrafen und Apostasie-Verboten
Dazu schreibt die Soziologin Petra Klug im Buch „Irrwege“:
„Kritik an Religion ist insbesondere im Hinblick auf den Islam umstritten, weil sie häufig mit der Diffamierung der Gläubigen verwechselt wird. Selbst auf differenzierte und fundierte Kritik am Islam folgt dann regelmässig der Vorwurf der ‚Islamophobie‘…..So wird jedoch auch Kritik an solchen Praxen oder Überzeugungen diskreditiert, die sich gegen Frauenrechte oder Homosexuelle wenden. Erschwerend kommt hinzu, dass solche Vorwürfe oft genug auch Menschen treffen, die selbst einen muslimischen Background haben. Ganz in der Tradition der Blasphemie-Paragrafen und Apostasie-Verbote werden religiöse Praxen und Überzeugungssysteme unter einen speziellen Schutz gestellt. Wer dagegen verstösst, wird diskursiv oder sogar mit Gewalt bestraft.
Gleichzeitig macht die weit verbreitete rechte Hetze gegen Muslim*innen es besonders schwer zu entscheiden, wo die Grenze zu ziehen ist zwischen Religionskritik und Rassismus, da letzterer immer schon auf kulturelle Unterschiede zurückgegriffen hat, um Abwertung und Ungleichbehandlung zu legitimieren.“ (Seite 261/262)
Der Vorwurf der Islamophobie werde regelmässig auch gegen Muslim*innen in Stellung gebracht, schreibt Petra Klug. Als Beispiel verweist sie auf den European Islamophobia-Report, der von der AKP-nahen türkischen SETA-Stiftung erstellt wurde und auch liberale Kritikerinnen und Kritiker des Islam denunziert.
Religionskritik sei universal, konstatiert Petra Klug, und zieht den Schluss:
„Historisch war Religionskritik im Westen vor allem Kritik am Christentum, das auch heute noch an vielen Stellen Gewalt und Benachteiligung vor allem gegen Frauen und Homosexuelle begründet. Es ist aber wichtig, diesen Ethnozentrismus zu überwinden und sich mit allen Menschen zu solidarisieren, die gegen menschenverachtende Ideologien und Zustände kämpfen, insbesondere wo diese universale Solidarität immer wieder selbst einfordern. Dazu gehört auch die Kritik am Islamismus und seinen Wurzeln im Islam.“ (Seite 285)
Das ist ein akkurates Bekenntnis zu einem Universalismus, der seit einiger Zeit immer mehr unter Druck kommt durch ideologisch aufgeladene Theorien aus dem Bereich der Identitätspolitik.
Quellen:
„Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmassung und Selbsthass“, von Susanne Schröter, Herder Verlag 2022. Buchbesprechung und Zitate.
„Die Fallen des Multikulturalismus“, von Cinzia Sciuto, Rotpunktverlag 2020 (Seite 72 – 78).
„Vom Wesen des Christentums zum Unwesen des Islamismus – Geschichte und Aktualität von emanzipatorischer Religionskritik“, von Petra Klug. In: „Irrwege – Analysen aktueller queerer Politik“, von Till Randolf Amelung (Hg.), Querverlag 2020 Buchbesprechung und Zitate.
„Warum wird über den islamischen Antisemitismus geschwiegen?“, von Matthias Küntzel.
Siehe auch:
Schachgrossmeisterin Mitra Hejazipour zum Kampfbegriff «Islamophobie»
Islamismus als antidemokratische Ideologie
Identitätspolitik unterminiert Wissenschaft
Identitätspolitik versus Universalismus
Was Identitätspolitik mit Religion verbindet
Identitätspolitik unterminiert Demokratie und Rechtsstaat
Vergleichbar mit dem Begriff „Islamophobie“ wird auch „Transphobie“ als Kampfbegriff eingesetzt. Siehe dazu:
Identitätspolitik: «Transphobie» als billige Diffamierungsstrategie