Der Begriff «Politische Korrektheit» hat seine Wurzeln im englischen Sprachraum. Political correctness bedeutet ursprünglich die Zustimmung zu der Idee, dass Ausdrücke und Handlungen vermieden werden sollten, die Gruppen von Menschen kränken oder beleidigen können (etwa bezogen auf Geschlecht oder Hautfarbe).
In diesem Sinne meint «politische Korrektheit» einen Sprachgebrauch, der durch eine besondere Sensibilisierung gegenüber Minderheiten gekennzeichnet ist und sich der Anti-Diskriminierung verpflichtet fühlt. Aus «Neger» wurde das «N-Wort, aus «Mohrenkopf» die «Schoko-Kugel, und es begann ein Ringen um das korrekte «Gendern» in den Medien und in der Alltagssprache.
Breitere Verwendung fand der Begriff «Politische Korrektheit» seit Beginn der 1990er-Jahre. Er wurde damals von der politischen Rechten und den Konservativen in den USA aufgegriffen, um die Verwendung und vorgebliche Dominanz „politisch korrekter“ Sprache als Zensur und Einschränkung der Redefreiheit zurückzuweisen.
In der Folgezeit griffen auch konservative und neurechte Kreise in Europa das Schlagwort auf und monierten, dass man gewisse Worte nicht mehr sagen dürfe. «Politische Korrektheit» wurde zum Kampfbegriff der Rechten.
Es würde aber zu kurz greifen, den Ausdruck nur als Kampfbegriff der Rechten zu sehen, denn dieses Thema ist komplexer. Natürlich ist ein sensibler Sprachgebrauch, der nicht unnötig verletzend wirkt, erstrebenswert. Und ja, neurechte Kreise versuchen mit dem Kampfbegriff «politische Korrektheit» ihre Spielräume für rassistische und diskriminierende Sprache zu erhalten.
Im Zuge einer sich radikalisierenden Identitätspolitik von links hat die Durchsetzung von «politischer Korrektheit» aber auch Züge angenommen, die mit einem Machtanspruch verbunden sind. Zudem ist die Durchsetzung von einem hochgradigen politischen Moralismus begleitet. Wer sich den Forderungen nach politischer Korrektheit nicht beugt, wird als schlechter Mensch gebrandmarkt. Wer sich hingegen politisch korrekt äussert, signalisiert damit, dass er oder sie auf der guten Seite steht («Virtue signalling»).
Überzogene politische Korrektheit spielt Rechtspopulisten in die Hände
Der Politologe Francis Fukuyama schreibt dazu:
«Die linke Identitätspolitik zieht eine politische Korrektheit nach sich, deren Ablehnung zu einer wichtigen Mobilisierungsquelle für die Rechte geworden ist.» (Seite 144)
Dieser Begriff sei ein zentrales Thema gewesen in der US-Präsidentschaftswahl 2016.
Zur politischen Herkunft des Begriffs schreibt Francis Fukuyama:
«Politische Korrektheit bezieht sich auf Dinge, die man in der Öffentlichkeit nicht äussern darf, ohne mit moralischen Schmähungen rechnen zu müssen. In jeder Gesellschaft gibt es Ideen, die ihrem Gründungsgedanken zuwiderlaufen und deshalb im öffentlichen Diskurs tabu sind. In einer liberalen Demokratie darf man durchaus glauben, dass Hitler Juden zu Recht ermordet habe oder dass die Sklaverei eine mildtätige Institution gewesen sei, und das im Privaten auch äussern. Nach dem 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten ist das Recht, solche Aussagen zu machen, zudem konstitutionell geschützt. Dennoch würde heftige moralische Kritik an jedem Politiker geübt werden, der derartige Ansichten vorträgt, da sie dem in der Unabhängigkeitserklärung verkündeten Prinzip der Gleichheit widersprechen. In etlichen europäischen Demokratien, die nicht die gleiche absolutistische Haltung zur Redefreiheit vertreten wie die Vereinigten Staaten, sind solche und ähnliche Statements seit vielen Jahren gesetzlich verboten.» (Seite 144/145)
Das gesellschaftliche Phänomen der politischen Korrektheit sei jedoch komplexer, schreibt Fukuyama:
«Die dauernden Entdeckungen neuer Identitäten und die schwankende Grundlage für akzeptable Äusserungen sind schwer im Auge zu behalten: manhole, ein Schacht für Bauarbeiter, wird in den USA inzwischen als maintenance hole umschrieben; der Name des Footballteams Washington Redskins wird von amerikanischen Ureinwohnern als herabsetzend kritisiert; der Gebrauch von Personalpronomen wie er oder sie im falschen Kontext wird als mangelnde Sensibilität gegenüber Intersex- oder Transgender-Personen empfunden. Dem hervorragenden Biologen E. O. Wilson wurde ein Eimer Wasser über den Kopf gegossen, weil er erklärt hatte, dass manche Unterschiede zwischen Mann und Frau biologische Ursachen hätten. Keines dieser Themen ist von Bedeutung für fundamentale demokratische Prinzipien, doch sie scheinen die Würde einer speziellen Gruppe in Frage zu stellen und einen Mangel an Achtsamkeit oder Mitgefühl für die Herausforderungen und Kämpfe jener Gruppen auszudrücken.» (Seite 145)
Tatsächlich setze sich nur eine kleine Anzahl von linken Schriftstellern, Künstlern, Studenten und Intellektuellen für die extremeren Formen politischer Korrektheit ein, schreibt Fukuyama. Solche Beispiele würden jedoch von konservativen Medien aufgegriffen und dazu benutzt, die gesamte Linke über einen Kamm zu scheren.
Donald Trump – der perfekte Vertreter einer Ethik der Authentizität
Fukuyama zeigt am Beispiel von Donald Trump, dass eine durch radikalisierte Identitätspolitik überspitzte politische Korrektheit rechtsextremen Figuren in die Hände spielen kann.
«Dies könnte einen der ausserordentlichen Aspekte der US-Präsidentschaftswahl 2016 erklären, nämlich Donald Trumps fortgesetzte Popularität ungeachtet eines Benehmens, das die Karriere jedes anderen Politikers beendet hätte. Im Wahlkampf verspottete er einen behinderten Journalisten, er prahlte damit, Frauen begrapscht zu haben, und er bezeichnete Mexikaner pauschal als Vergewaltiger und Verbrecher. Obwohl vielen seiner Anhänger sicher nicht jedes dieser Statements gefallen hat, gefiel ihnen die Tatsache, dass er sich von dem Zwang, politisch korrekt aufzutreten, nicht einschüchtern liess. Trump war der perfekte Vertreter der Ethik der Authentizität, die typisch für unser Zeitalter ist: Er mag verlogen, bösartig, scheinheilig und nicht präsidentenhaft sein, aber zumindest sagt er, was er denkt.
Indem Trump die politische Korrektheit so frontal angriff, trug er wesentlich dazu bei, den Fokus der Identitätspolitik von der Linken auf die Rechte zu verschieben, wo sie nun neue Wurzeln schlägt. Linke Identitätspolitik neigte dazu, nur gewisse Identitäten anzuerkennen, andere hingegen zu ignorieren oder gar herabzusetzen, etwa die europäischer (das heisst weisse) Ethnizität, das Christentum, die Landbevölkerung, traditionelle Familienwerte und Ähnliches.» (Seite 146)
Diese Einseitigkeit, die eine durch radikalisierte Identitätspolitik überspitzte politische Korrektheit der Linken charakterisiert, macht es rechtsextremen Figuren wie Donald Trump leicht, rechte Identitäten zu bewirtschaften. Das verstärkt identitäres Gruppendenken auf der rechten Seite. Das kann zu einem populistischen Nationalismus führen («America first») und zur Absolut-Setzung der eigenen Identität als Christ, Weisser, Landbewohner etc.
Fukuyama findet es bemerkenswert, in welchem Masse die Rechte dabei die Sprache und Einordnung der Identität von der Linken übernommen hat:
«Ihre spezielle Gruppe werde ungerecht behandelt, die übrige Gesellschaft nehme ihre Situation und ihre Leiden nicht gebührend wahr, und das gesamte soziale und politische Gefüge, das dafür verantwortlich sei (lies: die Medien und die Elite), müsse zertrümmert werden. Identitätspolitik ist die Linse, durch die man gesellschaftliche Probleme heute über das gesamte ideologische Spektrum hinweg betrachtet.» (Seite 149)
Fazit:
Fukuyama zeigt in seinem Buch über «Identität» gut auf, wie politische Korrektheit dazu beiträgt, die demokratische Gesellschaft zu spalten. Diese Entwicklung fördert ein Stammesdenken, das zur Blockierung von Demokratien führen kann. Die Gefahren, die für demokratische Gesellschaften davon ausgehen, liegen auf der Hand.
Siehe dazu:
Tribalismus, digitaler: Problematik des Stammesdenken
Identitätspolitik unterminiert Demokratie und Rechtsstaat
Quellen:
«Identität – Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet», von Francis Fukuyama, Hoffmann und Campe Verlag 2019.
Beitrag zu «Politische Korrektheit» auf Wikipedia.