Im Rechtsstaat ist die Staatsgewalt an das geltende Recht gebunden. Das gilt zum Beispiel für Regierungen, Polizei und Verwaltung.
Das Rechtsstaatsprinzip schützt und sichert dadurch die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger vor Eingriffen des Staates.
In einem funktionierenden Rechtsstaat können sich Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen, dass die geltenden Gesetze vom Staat und von anderen Mitbürgern eingehalten werden. Idealerweise sollten alle wissen, welche Rechte und welche Pflichten jede und jeder hat. Das lässt sich vergleichen mit einem Vertrag. Beide Seiten, also der Staat und seine Bürgerinnen und Bürger, sind verpflichtet, den Vertrag, also das Gesetz, zu beachten und einzuhalten. Ein Rechtsstaat ist also ein Staat, in dem man sich auf die Gesetze und deren Einhaltung verlassen kann.
Ein Rechtsstaat erkennt darüber hinaus die Menschenwürde und das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger an. Er garantiert die Grundrechte und die Freiheit aller. Jede Einschränkung der Freiheit der Menschen braucht eine rechtliche Begründung. Die Menschen sind in einem Rechtsstaat beispielsweise geschützt vor willkürlicher Verhaftung.
Zwei wichtige Merkmale zeichnen den Rechtsstaat aus
Die beiden wichtigsten Merkmale des Rechtsstaats sind die Rechtsgleichheit und die Rechtssicherheit:
☛ Rechtsgleichheit
Das Rechtsstaatsprinzip besagt, dass für alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen Gesetze gelten und sie vor Gericht auch gleichbehandelt werden. Artikel 8 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft sagt:
«1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
2 Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.
3 Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.
4 Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor.»
Rechtsgleichheit ist geschichtlich betrachtet keineswegs selbstverständlich. Über lange Zeiträume galten zum Beispiel für Adelige, Bürger und Bauern unterschiedliche gesetzliche Bedingungen. Die zunehmende Rechtsgleichheit wurde in langen politischen Kämpfen erreicht. Die Französische Revolution (1789 bis 1799) forderte die Gleichheit als zentrales Wesensmerkmal des Rechtsstaats. Jeder Mensch sollte mit gleichen Rechten ausgestattet werden. Allerdings schlossen diese fortschrittlichen Ideen der Aufklärung damals Frauen, Angehörige religiöser Minderheiten und Menschen anderer Hautfarbe in der Regel aus. Bis diese Ungleichheiten abgebaut werden konnten, dauerte es zum Teil noch sehr lange.
☛ Rechtssicherheit:
Alle staatlichen Maßnahmen benötigen im Rechtsstaat eine gesetzliche Grundlage. Die Verwaltung und die Justiz sind an Recht und Gesetz gebunden. Das dient dem Schutz vor staatlicher Willkür – beispielsweise vor willkürlicher Verhaftung. Die Gesetzgebung durch die Legislative ist an die Verfassung gebunden. Die Verfassung legt die staatliche Ordnung fest.
Den Rechtsstaat charakterisieren darüber hinaus weitere Merkmale:
☛ Rechtskontrolle:
Allen Menschen steht im Rechtsstaat der Rechtsweg offen. Jede Person kann vor Gericht ziehen, und dies nicht nur gegen andere Menschen oder Unternehmen. Ein Rechtsstaat bietet auch die Möglichkeit, das Handeln des Staates überprüfen zu lassen. In einem Rechtsstaat muss man auch gegen den Staat klagen können. Die Einhaltung der Gesetze wird in einem Rechtsstaat durch unabhängige Gerichte überwacht.
☛ Gewaltenteilung:
Die Legislative (z. B. das Parlament), die Exekutive (die Regierung) und die Judikative (Gerichte) werden von unterschiedlichen Menschen ausgeübt. Dies dient der Machtbegrenzung und der gegenseitigen Kontrolle.
☛ Freiheitssicherung
Die Bürgerinnen und Bürger hat bestimmte Rechte, die ihnen niemand nehmen kann. Jede Begrenzung der Freiheit braucht eine gesetzliche Grundlage. Die Grund- und Menschenrechte sind Abwehrrechte gegen staatliche Willkür zum Schutz der Privatpersonen. Deshalb darf der Staat sich in bestimmte private Bereiche nicht einmischen. Die Grundrechte sichern damit den Freiraum vor dem Staat, aber ebenso gegenüber anderen Bürgerinnen und Bürgern. Der Rechtsstaat sichert auch Grund- und Freiheitsrechte von Minderheiten gegenüber Mehrheitsentscheiden.
Wie sieht das Gegenteil eines Rechtsstaats aus?
Der Begriff «Rechtsstaat» hat sich aus der Abgrenzung zu willkürlich handelnden Staaten wie Diktaturen oder Polizeistaaten heraus entwickelt, die das Gegenteil eines Rechtsstaats sind. Diktaturen und Polizeistaaten stellen Staatsinteressen, die Interessen einer Führungsriege oder Einzelperson an die erste Stelle. Sie müssen sich dabei nicht an Gesetze halten – oder können diese nach ihrem Gutdünken ändern. Gesetze, die den Einzelnen vor der Willkür des Staats schützen, existieren in einer Diktatur nicht.
Willkür in einem Unrechtsstaat zeigt sich zum Beispiel, wenn ein Mensch ohne Begründung oder richterlichen Beschluss verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wird – ohne zu wissen weshalb oder ohne überhaupt etwas Falsches getan zu haben. Willkür zeigt sich zum Beispiel auch, wenn ein Regimekritiker von der Steuerbehörde viel härter und öfter kontrolliert wird als ein Anhänger des Regimes.
Mit dem Begriff «Willkür» wird also staatliches Handeln bezeichnet, dem die gesetzliche Grundlage oder ein sachlicher Grund fehlt. Wenn Staatsorgane wie zum Beispiel Polizei, Gerichte oder Behörden willkürlich handeln, können sich die Menschen nicht darauf verlassen, dass ihre Rechte geschützt werden.
Quellen:
☛ Beitrag «Was ist ein Rechtsstaat» auf im Portal der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.
☛ Beatrice Weber-Dürler; Judith Wyttenbach: „Gleichheit“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.03.2023. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010375/2023-03-09/ , konsultiert am 20.01.2024.
Ergänzung:
☛ Eine Demokratie braucht einen funktionierenden Rechtsstaat. Wir der Rechtsstaat angegriffen und abgebaut, verkommt die Demokratie zu einer Farce. Das geschieht seit einiger Zeit zum Beispiel in Ungarn. Dort arbeitet die Regierung unter Viktor Orban daran, sich die Gerichte zu unterwerfen. Damit wird die Gewaltenteilung unterlaufen. Siehe dazu:
Gewaltenteilung – unverzichtbar für die Demokratie
Der Rechtsstaat gehört deshalb zu den typischen Merkmalen der Demokratie. Siehe dazu:
Demokratie – ihre typischen Merkmale
Umgekehrt kann es aber einen Rechtsstaat geben ohne Demokratie, zum Beispiel in einer rechtsstaatlichen Monarchie. Hier gelten zwar die Gesetze. Sie werden aber vom König erlassen.
☛ Wer in einem Rechtsstaat lebt, nimmt diesen möglicherweise für selbstverständlich und realisiert dann nicht, wie unfassbar wichtig diese Errungenschaft ist. Deshalb ist es wichtig, dem Rechtsstaat Sorge zu tragen und ihn zu verteidigen.