Als Säkularismus bezeichnet man eine Weltanschauung, die auf der Trennung von Religion und Staat beruht. Sie beschränkt sich auf die weltliche Existenz einer Gesellschaft und verzichtet darauf, sich an religiösen Vorstellungen zu orientieren.
Der Begriff Säkularismus ist abgeleitet von lateinisch saeculum ‚Zeit‘, ‚Zeitalter‘; auch: ‚Jahrhundert‘, als ‚diesseitigem‘ Gegensatz zur religiös-‚jenseitig‘ verstandenen ‚Ewigkeit‘).
Der Säkularismus entwickelt sich aus zwei Prozessen:
- Aus der Säkularisierung, das heisst aus dem mentalen Prozess der Entflechtung oder Trennung zwischen Religion und Staat.
- Aus der Säkularisation, dem konkreten Prozess der Ablösung der weltlichen Macht religiöser Institutionen (zum Beispiel dem Einziehen von kirchlichen Besitztümern und der Übernahme von Bildungseinrichtungen durch den Staat).
Sind Religion und Staat voneinander getrennt, spricht man von Säkularität. Das bedeutet, dass sich der Staat in religiösen Fragen neutral verhält und garantiert, dass jeder Mensch seine Religion ausüben kann (Recht auf Religionsfreiheit). Keine Religionsgemeinschaft soll dabei vom Staat bevorzugt behandelt werden. Umgekehrt soll von den Religionen kein Einfluss auf die Politik ausgehen.
In den meisten Staaten Europas nahm die Trennung zwischen Religion und Politik seit dem 18. Jahrhundert stetig zu. Das Prinzip der Trennung von Religion und Staat wird in vielen Demokratien als sehr wichtig betrachtet.
Säkularität / Säkularismus schützt religiöse Minderheiten und Konfessionslose
Als Argument für Säkularität / Säkularismus wird meistens angeführt, dass religiöse Minderheiten und Konfessionslose (= Menschen ohne religiöses Bekenntnis) gegenüber der religiösen Mehrheit nicht benachteiligt werden können, wenn sich der Staat in Religionsfragen komplett neutral verhält und keine Religion speziell bevorzugt. In manchen Ländern (zum Beispiel in Frankreich) ist das Prinzip des Säkularität so zentral, das die Trennung von Religion und Staat in der Verfassung verankert ist und in den staatlichen Institutionen (zum Beispiel Schulen) sehr streng angewendet wird, auch unter teilweiser Einschränkung der Religionsfreiheit. In solchen Fällen – wenn eine vollständige Trennung von Staat und Religion angestrebt wird – spricht man von „Laizismus“.
Gegnerinnen und Gegner von Säkularität /Säkularismus wünschen sich, dass die Religion stärkeren Einfluss auf Politik, Recht, Erziehungseinrichtungen und Institutionen eines Staates nimmt. Bevorzugt und privilegiert ein Staat dabei eine bestimmte Religion (im Allgemeinen die Religion der Bevölkerungsmehrheit), spricht man von einer „Staatsreligion“. Wenn ein Staat sich total nach den religiösen Regeln und Werten der Staatsreligion organisiert, handelt es sich um eine „Theokratie“ (= „Priesterherrschaft“ bzw. „Gottesstaat“, zum Beispiel Iran, Vatikanstaat).
Säkularismus in der islamischen Welt
Ausgehend von europäischen Ideen hat sich im frühen 20. Jahrhundert auch in einigen islamischen Ländern ein säkularistisches Denken entwickelt. In der Türkei lancierte Mustafa Kemal Atatürk nach dem Sieg im Befreiungskrieg (1919–1923) ein säkularistisches Modernisierungsprogramm, welches anderen politischen Führern in der islamischen Welt als Vorbild diente. Einer der prominentesten säkularistischen Denker der islamischen Welt war der ägyptische Islamgelehrte und Scharia-Richter ʿAlī ʿAbd ar-Rāziq (1887 oder 1888 – 1966). Er veröffentlichte 1925 sein Buch „Der Islam und die Grundlagen der Herrschaft“ (al-Islām wa-uṣūl al-ḥukm). Darin vertrat er die These, dass die Muslime ihr Herrschaftssystem frei wählen dürften, da Mohammed kein solches System festgelegt habe und auch Koran und Sunna dazu keine Vorgaben machten. Von solchen Vorstellungen ist die islamische Welt der Gegenwart allerdings überwiegend sehr weit entfernt.
Plädoyer für einen aufgeklärten Säkularismus
Der Politikwissenschaftler, Historiker und Autor Hamed Abdel-Samad, der 1972 in Gizeh (Ägypten) als Sohn eines Imams geboren wurde, hat allerdings 2020 im dtv-Verlag ein engagiertes Plädoyer für einen aufgeklärten Säkularismus veröffentlicht. Er schreibt:
«Ein aufgeklärter Säkularismus ist vermutlich die beste und einzig friedliche Voraussetzung für das Zusammenleben unterschiedlicher religiöser und nichtreligiöser Gruppen. Nur wenn der Staat die gleiche Distanz zu allen Gruppen wahrt und keiner mehr Privilegien einräumt als der anderen, ist die Gleichberechtigung garantiert. Religiöse Gruppen und Institutionen sind wichtig für die eigenen Anhänger und auch für das Gleichgewicht in der Gesellschaft. Doch wenn diese im Namen der Religionsfreiheit mehr Einfluss in Bildung, in den Medien, in der Wirtschaft und im Gesundheitswesen erlangen, wird das Gleichgewicht gestört – auf Kosten der Neutralität des Staates und auf Kosten der Individuen, die oft unter den Machtstrukturen einer religiösen Institution oder Gruppierung leiden.
Die unvollendete Säkularisierung Deutschlands bietet eingewanderten wie einheimischen religiösen Institutionen Schutzräume, in denen die Errungenschaften der Aufklärung untergraben werden können. Viele demokratisch freiheitliche Werte wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Recht auf Abtreibung, Gewissens und Meinungsfreiheit, Pluralismus und religiöse Toleranz wurden in der Vergangenheit auch gegen den Widerstand der Kirchen durchgesetzt. Diese Werte dürfen heute im Namen der Toleranz und des Multikulturalismus weder relativiert noch infrage gestellt werden. Die Vermischung von Religion und Staat hat in der Vergangenheit Deutschland und bis heute viele islamische Staaten zu Orten des Fanatismus und der Intoleranz gemacht. Für ein gelungenes Zusammenleben verschiedener Religionen auf deutschem Boden ist eine konsequente Säkularisierung unverzichtbar. Die Ermächtigung der Individuen gegen die Machtstrukturen der religiösen Institutionen verstößt nicht gegen das Gebot der Religionsfreiheit, denn Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums sind die Voraussetzung für alle anderen Freiheiten. Nicht zuletzt kann ein unfreier Mensch niemals ein guter Gläubiger sein.»
Quellen:
Lexikoneintrag zu «Säkularität» auf dem Portal Demokratiewebstatt.at.
Artikel zum Thema «Säkularität (Säkularismus)» auf Demokratiezentrum.org.
Beitrag zum Stichwort «Säkularismus» auf Wikipedia.
Beitrag zum Stichwort «ʿAlī ʿAbd ar-Rāziq» auf Wikipedia.
Hamed Abdel-Samads Plädoyer für einen aufgeklärten Säkularismus (Institut für Weltanschauungsrecht).
Hamed Abdel-Samad, Aus Liebe zu Deutschland: Ein Warnruf, dtv Verlagsgesellschaft, München, 2020.
Ausserdem:
Humanistisch-säkulare Spaziergänge und Ausflüge in Winterthur und Umgebung