Als „Silencing“ (dt. zum Schweigen bringen) wird der Versuch bezeichnet, Menschen im Internet solange einzuschüchtern, bis sie nicht mehr das Wort ergreifen, verstummen und sich zurückziehen. Ziel der Angriffe: Andere Meinungen sollen aus der öffentlichen Debatte verschwinden. Silencing schadet den betroffenen Personen, aber auch der Demokratie, weil es dazu führt, dass sich nicht alle politischen Meinungen gleichermassen in der Öffentlichkeit darstellen können. Es behindert und verzerrt den politischen Prozess.
Vor allem Glaubenskrieger aller Art versuchen, besonders viele Diskussionsräume im Internet zu besetzen. Sie schlagen typischerweise oft einen besonders harten Ton gegenüber Andersdenkenden an.
Die Diskussionsräume im Internet sind kein egalitärer Ort. Von Silencing sind nicht alle Internet-Nutzer gleich stark betroffen. Potenzielles Ziel von teilweise auch organisierten Hasskampagnen sind alle, die sich mit Meinungen exponieren, die den Glaubenskriegern zuwiderlaufen, vor allem Politikerinnen und Politiker. Frauen werden dabei härter attackiert und persönlicher diffamiert, wobei Verunglimpfungen und Drohungen häufig sexualisiert daherkommen, zum Beispiel als Vergewaltigungsdrohung.
Davon speziell betroffen sind Journalistinnen, Feministinnen und Lesben. Ein Migrationshintergrund verschärft die aggressive Tonalität der Angriffe.
Silencing darf nicht gewinnen
Für demokratische Gesellschaften ist Silencing fatal, weil grosse Teile der Bevölkerung dadurch im öffentlichen Diskus unsichtbar werden.
Silencing belastet Betroffene am stärksten, wenn sie den Eindruck bekommen, ganz auf sich allein gestellt zu sein. Solidaritätsbekundungen anderer User sind deshalb enorm wichtig. Wer sich im Internet exponiert, sollte sich idealerweise in Netzwerken bewegen, die Unterstützung bieten können. Denn als Einzelperson kann es sehr schwierig sein, dem Silencing zu widerstehen. Zu mehreren oder gar als Gruppe gelingt es leichter, sich nicht wegdrängen zu lassen, zu mindestens nicht von zentralen Orten der politischen Debatte.
Gesellschaft und Politik sollten diesem Problem mehr Aufmerksamkeit widmen. Massnahmen dagegen sind nicht einfach zu finden, denn die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber es kann und darf auch nicht sein, dass die aggressivsten und am besten organisierten Internet-Nutzer den Raum dominieren. Zwar gibt es gesetzliche Schranken, zum Beispiel bei Drohungen. Die Meldeverfahren dazu bei der Justiz und bei den Social-Media-Plattformen müssen aber vereinfacht werden. Zudem muss der Staat Politikerinnen und Politiker stärker unterstützen, wenn sie mit organisierten Hasskampagnen im Netz bedroht werden.
Quelle:
«Hass im Netz – Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können», von Ingrid Brodnig, Brandstätter Verlag 2016.