Der Feminismus hat grosse Verdienste beim Kampf um die Gleichberechtigung der Frau erworben und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Seit einiger Zeit verstärkt sich allerdings zunehmend der Eindruck, dass sich grosse Teile dieser heterogenen Bewegung in abstrusen identitätspolitischen Theorien verstrickt haben. Das zeigt sich deutlich im fast vollständigen Schweigen zu den systematischen Misshandlungen und Vergewaltigungen von jüdischen Frauen durch Hamas-Terroristen. Durch Theorien der Identitätspolitik betrachtet handelt es sich bei diesem Massaker ganz offensichtlich um die falschen Opfer und die falschen Täter.
Muslime als Täter? Jüdinnen als Opfer? Das scheint für weite Teile des identitätspolitischen Feminismus kein Thema zu sein.
Im Folgenden Beispiele für Kritik an diesem blinden Fleck des identitätspolitischen Feminismus:
☛ «Wenn Jüdinnen misshandelt werden, schweigt der deutsche Feminismus» (WELT)
Die Autorin und Journalistin Mirna Funk schreibt auf «WELT»:
«In den letzten 72 Stunden wurden Kinder, Frauen und alte Menschen nach Gaza verschleppt. Es wurden Videos auf Social Media und Telegram geteilt, die Hinrichtungen zelebrieren, zeigen wie jüdische Frauen von Hamas-Terroristen reihenweise und stundenlang vergewaltigt werden, wie diese Körper anschließend durch Gaza geschleift, geschleppt oder gefahren werden, um zu feiern, was man ihnen angetan hat.
Und die deutschen Feministinnen? Sie schweigen. Die, die Bücher zu Femiziden geschrieben haben, die die Bücher zu weiblicher Emanzipation geschrieben haben, die die sich jahrelang als Advokaten weiblichen Lebens inszenierten, halten geschlossen ihren Mund. Nicht, weil der Konflikt so kompliziert ist, sondern weil ihr antisemitisches Weltbild tief in ihre Identität geschrieben ist. Wenn eine Jüdin von einer Gruppe Männer vergewaltigt und gefoltert wird, wenn sie gezwungen wird, ihre Mutter anzurufen, sodass die Mutter dabei zuhören muss, was ihrer Tochter angetan wird, dann ist das offensichtlich für viele in diesem Land, aber aktuell auch weltweit, „legitimes Mittel einer palästinensischen Freiheitsbewegung“.»
☛ Mirna Funk zum Krieg in Israel: «Die Universitäten haben den weltweiten Antisemitismus angeheizt» (Sonntagszeitung, Abo)
In einem Interview mit der Sonntagszeitung spricht sie Journalistin Bettina Weber das Thema an:
«Bei ihrem Angriff hat die Hamas auch viele Frauen vergewaltigt, misshandelt, getötet. Ein feministischer Aufschrei blieb aus, ähnlich wie in der Silvesternacht in Köln, als Hunderte Frauen von muslimischen Migranten belästigt wurden. Wenn es sich bei den Angreifern um Muslime handelt, sind offenbar für viele Feministinnen die Frauen weniger schützenswert.»
Mirna Funkt antwortet darauf:
«Es sind tatsächlich vor allem die Feministinnen der älteren Generation wie Alice Schwarzer, die das Problem beim Namen nennen, während die jüngeren Feministinnen sich als Teil dieser neuen dekolonialen, antikapitalistischen Bewegung begreifen und deshalb «das System» verantwortlich machen für alles. Sie haben Angst, Kritik an Muslimen würde ihnen als antimuslimisch ausgelegt, was ich sogar verstehe, auch ich achte darauf, in meinen Äusserungen nicht so zu klingen. Das ändert nichts daran, dass die Filmemacherin und Kriegsberichterstatterin Düzen Tekkal recht hat, wenn sie sagt: „Wenn Feministinnen in Deutschland es nicht schaffen, sich mit den Vergewaltigungsopfern in Israel uneingeschränkt solidarisch zu zeigen und die Täter in aller Deutlichkeit zu verurteilen, gibt es dafür nur eine Erklärung: Der Hass auf Israel ist ihnen wichtiger als ihr Feminismus.“ Es geht dabei weniger um Rücksicht auf den muslimischen Mann als um den eigenen Antisemitismus.»
☛ Juristin über sexuelle Gewalt beim Hamas-Angriff: »Es geht darum, die schlimmsten Ängste jedes Menschen wahrzumachen« (Spiegel)
Beim Terrorangriff der Hamas auf Israel kam es zu Vergewaltigungen durch die Angreifer. Die Rechtsprofessorin Ruth Halperin-Kaddari gibt im Spiegel erschütternde Einblicke in die brutalen Vorfälle und erklärt, warum sie von feministischen Organisationen enttäuscht ist. Ihrer Ansicht nach geht die systemische Grausamkeit beim Angriff der Hamas über das hinaus, was wir im Bereich von geschlechtsspezifischer Gewalt in anderen Konflikten gesehen haben. Gefragt, was das Ziel solcher Gewalt ist, antwortet Ruth Halperin-Kaddari:
«Es geht nicht mehr nur ums Töten. Es geht darum, den größtmöglichen Horror in der Bevölkerung auszulösen, die schlimmsten Ängste jedes Menschen wahrzumachen, jede Sicherheit zu zerstören. Der Feind dringt ein in das eigene Haus, tötet die Kinder in ihren Betten, vergewaltigt Frauen. Die Familie als gesellschaftlicher Nukleus wird zerstört. Der Körper der Frau wird zum Symbol für die Nation, die man verletzt. Es ist eine Demütigung für die Männer, die die Frauen nicht schützen können. Daher erkennt das Internationale Recht sexuelle Gewalt als Kriegswaffe an, und, wenn sie absichtlich, strategisch und systematisch eingesetzt wird wie am 7. Oktober, wird sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sogar als genozidal bewertet.»
Halperin-Kaddari wirft der Internationalen Gemeinschaft und der Uno vor, die Hamas-Verbrechen bisher nicht ausreichend anerkannt zu haben.
Sie habe bereits drei Tage nach dem 7. Oktober an verschiedene Uno-Organisationen geschrieben, um die Verurteilung der Taten gegen Frauen und Kinder und die extreme sexuelle Gewalt, die stattgefunden hat, anzuerkennen. Sie habe auch an UN Women geschrieben, an das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau der Vereinten Nationen, an die Uno-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Frauen und an weitere Uno-Institutionen und internationale Frauenrechtsorganisationen:
«Die Reaktion war erschütternd: Viele antworteten gar nicht. Nur wenige veröffentlichten Statements, die dann aber sehr generell die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten bemängelten. Keine der Erklärungen erwähnte die sexuelle Gewalt. Das ist enttäuschend, gerade von UN Women, eine Organisation, die geschaffen wurde, um sich genau um solche Vorfälle zu kümmern. Als damals klar wurde, dass Frauen im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine Opfer sexueller Gewalt wurden, hat UN Women zügig reagiert und eine umfassende Untersuchung gefordert. Ich sehe hier einen Doppelstandard.»
Und wie erklärt sich Halperin-Kaddari diese weitestgehend ausbleibende Reaktion?
Es gebe schon einen generellen Mangel an Empathie Israel gegenüber vonseiten der linken Community weltweit:
«Die Vorfälle widersprechen dem konventionellen Framing von Israel als Aggressor und den Palästinensern als Opfern – und ich möchte hier ausdrücklich das große Leid der palästinensischen Frauen und Kinder anerkennen. Aber beim Angriff der Hamas waren israelische Frauen und Kinder die Opfer. Ich denke, es fällt vielen Menschen und Institutionen schwer, damit umzugehen, wenn die Realität sehr viel komplexer ist als das einfache Narrativ vom Unterdrücker und vom Unterdrückten. Manche streiten sie einfach ab. Ich hatte allerdings erwartet, dass internationale Anwälte für Menschenrechte diese rigide Denkstruktur durchbrechen und anerkennen, dass das, was am 7. Oktober passiert ist, über Szenen konventioneller Kriege hinausgeht, dass wir an diesem Tag eines der schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesehen haben, das in den vergangenen Jahren passiert sind. Dass das nicht geschehen ist, halte ich für eine Form von Antisemitismus, von dem ich mein Leben lang glauben wollte, dass er der Vergangenheit angehörte.»
☛ Wenn es um die Hamas geht, schweigt der Feminismus (WELT)
Thomas Schmid geht in einem Meinungsbeitrag in der «WELT» auf die fehlende Reaktion aus dem internationalen Feminismus ein:
«Hamas-Täter haben am 7. Oktober israelische Frauen vergewaltigt, geschändet, aufgeschlitzt, an Pickups durch die Straßen geschleift. Sie haben das nicht nur getan, sie haben ihre Verbrechen auch mit Kameras aufgenommen und ins Meer der Sozialen Netzwerke gestellt. Sie waren stolz darauf.»
Eine derart bestialische öffentliche Inszenierung sexistischer Gewalt sei präzedenzlos, schreibt Thomas Schmid. Und fährt fort:
«Es hätte nahegelegen, dass es sofort einen weltweiten Aufschrei gibt – vor allem von Frauen, von den feministischen Bewegungen. Doch deren Protest gegen die Verbrechen fiel äußerst schwach, man möchte fast sagen: sehr diskret aus. Wenn er nicht ganz unterblieb. Die Unversehrtheit israelischer Frauen scheint für viele Feministinnen ein minderes Gut zu sein.»
Thomas Schmid beschreibt als Beispiel eindrücklich, wie einseitig eine feministische Grosskundgebung in Italien am 25. November zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen sich pro-palästinensisch positionierte, zur vielfachen Vergewaltigung und Tötung israelischer Frauen aber schwieg.
Die jüdische Gemeinde Roms war darüber erschüttert, dass der italienische Feminismus Solidarität mit Palästina gutheißt, den Femizid an israelischen Frauen jedoch ignoriert. Sie hat darum eine eigene Aktion zum Gedenken an die ermordeten Israelinnen organisiert.
Thomas Schmid zitiert aus der Erklärung der jüdischen Gemeinde zu ihrer Kundgebung in Rom:
„Es ist, als gelte das ‚MeToo‘ für israelische Frauen nicht. Keine der Frauen hat auch nur ein Wort über sie verloren. Die italienischen Frauenorganisationen haben nichts getan, um auch dafür zu mobilisieren. Deswegen haben wir es getan, auf stille Weise, denn auch die toten israelischen Frauen haben ein Recht darauf, dass ihrer gedacht wird.“
☛ FEMINISMUS: Das dröhnende Schweigen zu Israels vergewaltigten Frauen (WELT)
WELT-Chefredakteurin Jennifer Wilton schreibt zur fehlenden Reaktion aus dem Feminismus:
«Feministische Organisationen, die sich seit Jahrzehnten lautstark zu Wort melden: Stille. Feministinnen, die seit Jahren auf Solidarität pochen: wortlos. Empathie gegenüber den Hamas-Opfern vonseiten der Teilnehmerinnen zahlreicher Demonstrationen dieser Tage zum Tag der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen: kaum vorhanden.»
☛ «Verstörende Augenzeugenberichte Hamas verübt massive sexuelle Gewalt gegen Frauen» (n-tv)
Nicht nur aus dem Feminismus, auch von internationalen Frauenorganisationen kommen keine bis sehr verhaltene Reaktionen. Cochav Elkajam Levy, Juradozentin an der Hebräischen Universität in Jerusalem, sagt dazu:
«Die internationalen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen wie UN Women haben ein gewaltiges moralisches Versagen zu verantworten. Ihr beschämend langes Schweigen im Zusammenhang mit dem Massaker des 7. Oktober und das Framing als „conflict-related sexual violence“ in der Stellungnahme von UN Women am 1. Dezember entzieht ihrer Arbeit jegliche Glaubwürdigkeit und macht sie irrelevant. Dies sind Organisationen, die stets die Fackel in unser aller Namen getragen haben, die Fackel, deren Grundmotto lautete: „Wir glauben dir bedingungslos.“ Diese Fackel haben sie mit eigenen Händen erstickt.Die mangelnde Verurteilung dieser Verbrechen untergräbt die Legitimität internationaler Einrichtungen.»
Die israelische Diplomatin und juristische Beraterin Sarah Weiss ist für die Verbindungen zu den Vereinten Nationen zuständig. Sie beklagt, dass UN-Gremien wie die UN-Frauen zu den Verbrechen gegen israelische Frauen und Mädchen lange hartnäckig geschwiegen hätten: „Wir sprechen hier über massenhafte sexuelle Verbrechen, deren Ziel es ist, die israelische Bevölkerung zu terrorisieren. Wirklich schlimm finde ich, dass Organisationen wie UN-Frauen sich dazu nicht zu Wort gemeldet haben.“
Erst acht Wochen nach dem Hamas-Terrorangriff auf Israel und nach massiver Kritik schrieben die UN-Frauen in einem X-Post: „Wir verurteilten eindeutig die brutalen Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Wir sind beunruhigt über die vielen Berichte über geschlechtsspezifische Gräuel und sexuelle Gewalt während dieser Attacken.“
Das ist sehr spät, wenig und billig.
☛ Islamismus und sexualisierte Gewalt: Krieg gegen die Frauen (TAZ)
Anastasia Tikhomirova schreibt in der linken TAZ:
„Anstatt den antisemitischen und misogynen Terror gegen die israelische Zivilbevölkerung unzweideutig zu verurteilen, rechtfertigten etliche reichweitenstarke und sich als progressiv wähnende Feminist:innen diesen als dekolonialen Widerstand oder solidarisierten sich gar mit der Hamas.
Diese entmenschlichenden Reaktionen zeugen nicht nur von einem tiefsitzenden Antisemitismus, sondern einem Unwissen über die Ideologie der Hamas. Als islamistische Gruppierung wird sie vom Geschlechterappartheidregime Iran finanziert, in dem Frauen gemäß der Scharia eine strenge Kleiderordnung aufgezwungen wird und sie als minderwertig gelten, nicht die gleichen Rechte wie Männer haben und keinerlei Schutz vor sexualisierter Gewalt genießen.“
☛ „Im Trauma alleingelassen“ (IPG-Journal)
„Das Ausmaß der sexualisierten Gewalt der Hamas am 7. Oktober ist unerträglich. Die Reaktion internationaler Frauenorganisationen ebenso“, schreibt Orit Sulitzeanu im IPG-Journal. Sie geht auf die Charakteristika sexualisierter Gewalt ein und stellt fest:
«Die internationalen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen wie UN Women haben ein gewaltiges moralisches Versagen zu verantworten. Ihr beschämend langes Schweigen im Zusammenhang mit dem Massaker des 7. Oktober und das Framing als „conflict-related sexual violence“ in der Stellungnahme von UN Women am 1. Dezember entzieht ihrer Arbeit jegliche Glaubwürdigkeit und macht sie irrelevant. Dies sind Organisationen, die stets die Fackel in unser aller Namen getragen haben, die Fackel, deren Grundmotto lautete: „Wir glauben dir bedingungslos.“ Diese Fackel haben sie mit eigenen Händen erstickt……
Die Frauenorganisationen der Welt, allen voran UN Women, können noch immer etwas tun, indem sie diese grauenhaften Kriegsverbrechen endlich scharf und kompromisslos verurteilen und nicht kontextualisieren. Eine solche Verurteilung hätte eine gewaltige Bedeutung für die betroffenen Frauen des 7. Oktober, die dadurch sehen würden, dass sie nicht allein sind, weil Frauen weltweit ihren Schmerz teilen.»
Orit Sulitzeanu ist seit dem Jahr 2013 Geschäftsführerin der israelischen Vereinigung der Hilfszentren für Opfer sexuellen Missbrauchs. Vorher war sie Sprecherin des Israel Women’s Network und Leiterin der Kommunikationsabteilung der Hebräischen Universität Jerusalem. Dort war sie außerdem Vorsitzende des Gender Equality Committee.
Anmerkung:
Dass der identitätspolitisch eingefärbte Feminismus zu diesen massenhaften Femiziden und Vergewaltigungen weitgehend schweigt, dürfte mit dem Einfluss von Postkolonialismus-Theorien zusammenhängen. Siehe dazu auch:
Postkolonialismus auf Abwegen: Begeisterung für Osama Bin Laden
Aber natürlich soll der Feminismus nicht über einen Kamm geschert werden. Es gibt einzelne Feministinnen, die klar Stellung genommen haben und auch das Schweigen oder gar Herunterspielen des Massakers an jüdischen Frauen kritisieren. Einen eindrücklichen Text in diesem Sinn hat Beatrice Frasl in der Wiener Zeitung veröffentlicht:
Was gesagt werden muss (Wiener Zeitung)