Nach dem Massaker der Hamas-Terroristen in Südisrael kam es in vielen Universitäten zu antisemitischen und israelfeindlichen Ausschreitungen und Manifestationen. Es spricht sehr viel dafür, dass dabei ein kruder Postkolonialismus mitspielt. Diese (un)wissenschaftliche Theorie unterstellt Jüdinnen und Juden, das Gebiet von Palästina kolonisiert zu haben. Israel wird als Projekt des Kolonialismus diffamiert. Das ist zwar grundfalsch und verzerrt die Realität, kommt aber offenbar bei Studentinnen und Studenten gut an (mehr dazu unter im Abschnitt «Anmerkungen»).
Sascha Lobo schreibt zum Zusammenhang zwischen Postkolonialismus und Judenhass im «Spiegel»:
«Der von links in Mode gekommene postkoloniale Judenhass erfordert eine ganz eigene Geschichtsvergessenheit. Jesus, geboren in Nazaret im heutigen Israel (in der Nähe von Haifa) war bekanntlich Jude und wurde vor 2000 Jahren als »König der Juden« bezeichnet. Das Judentum insgesamt entstand vor mehr als 3000 Jahren im heutigen Israel. Man könnte denken, bei so erdrückenden Beweisen für die Jahrtausende alte jüdische Geschichte in Israel sei es schwierig, so zu tun, als seien Juden irgendwie »Kolonialisten« oder »Invasoren«. Stimmt aber nicht, es werden ganz einfach alle geschichtlichen Nachweise, Belege, Überlieferungen ignoriert, die nicht in die antisemitische Überzeugung hineinpassen. Besonders abwegig ist das nicht selten gehörte Argument, das sei aber schon so lange her. Abgesehen davon, dass in der Region trotz vieler gewaltvoller Vertreibungen durchgängig jüdisches Leben nachweisbar ist, heißt das übersetzt, dass die Rechte nativer Bevölkerungen ein Verfallsdatum haben – was sich nicht unbedingt nach freundlichem Postkolonialismus anhört.»
Quelle:
Wie man Hass enttarnt: Antisemitismus erkennen für Anfänger (Spiegel)
Anmerkungen:
Postkolonialismus mit ideologischer Schlagseite
Der Postkolonialismus befasst sich kritisch mit der Geschichte des europäischen Kolonialismus und Imperialismus sowie deren weiteren Auswirkungen bis in die heutige Zeit. Das ist grundsätzlich ein wichtiges Anliegen. Wie bei anderen Theorien der Identitätspolitik ist gut gemeint jedoch nicht unbedingt auch bereits gut gemacht. Im Postkolonialismus gibt es verbreitet Einseitigkeiten und blinde Flecken. Dazu kommt ein starkes Gut-Böse-Denken, wie es für fundamentalistisch-religiöse Bewegungen typisch ist (Manichäismus). So werden zum Beispiel Juden oft undifferenziert als weiss schubladisiert – und damit als Täter, Palästinenser dagegen als nichtweisse als Opfer. Damit werden komplexe Situationen auf ein Freund-Feind-Schema reduziert. Ausgeblendet wird dabei unter anderem, dass ein grosser Teil der nach Israel eingewanderten Jüdinnen und Juden aus arabischen Ländern flüchtete.
Auch die Beschreibung des Staates Israel als koloniales Projekt stellt die Realität sehr verzerrt dar. Hinter dem Kolonialismus stehen in der Regel starke Staaten, die ihren Einflussbereich ausbeuterisch erweitern. Hinter der Entstehung des Staates Israel steckt jedoch kein starker Staat. Israel war und ist Zufluchtsort von Jüdinnen und Juden, die zum Beispiel im «Dritten Reich», in Osteuropa und in arabischen Ländern antisemitisch verfolgt wurden.
Die ideologischen Einseitigkeiten des Postkolonialismus sind folgenreich, weil diese Denkrichtung sich inzwischen an vielen Universitäten etabliert hat.
Ergänzungen:
☛ Buchtipp:
Wer sich in die Themen Postkolonialismus, Identitätspolitik etc. einlesen möchte, wird hier fündig:
„Zynische Theorien: Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt“, von Helen Pluckrose und James Lindsay, C. H. Beck Verlag 2022. Siehe dazu auch: Buchbesprechung und Zitate.
☛ Buchtipp zu den Ursprüngen von Judenhass und Antisemitismus im Nahen Osten:
«Nazis und der Nahe Osten – Wie der islamische Antisemitismus entstand», von Matthias Küntzel, Hentrich & Hentrich Verlag 2019. Buchbesprechung und Zitate.
☛ Weitere Texte mit Bezug zum Postkolonialismus:
Postkolonialismus auf Abwegen: Begeisterung für Osama Bin Laden
Antisemitismus an der Central European University (CEU) in Wien
☛ Texte zur Identitätspolitik:
Identitätspolitik versus Universalismus
Identitätspolitik unterminiert Demokratie und Rechtsstaat
Identitätspolitik und Postfaktualismus greifen Basis der Wissenschaft an