Auf pro-palästinensischen Kundgebungen tauchen immer wieder Plakate auf mit dem Slogan «Queers for Palestine». Nun ist ja seit langem bekannt, dass «Queers» in Palästina keine Möglichkeit haben, offen zu leben. Es zeigt sich im Slogan «Queers for Palästine» also eine sehr eigentümliche Allianz.
Es waren linke Bewegungen, die emanzipative Freiheitswerte in den westlichen Gesellschaften durchgesetzt haben und die Gleichstellung von Frauen, Homosexuellen und Transsexuellen förderten. Doch genau diese Werte werden von islamischen Akteuren mit Bezug auf den Koran und die Scharia absolut zurückgewiesen.
In einem Interview mit dem Magazin «Cicero» wird die Ethnologin Susanne Schröter gebeten, diesen Widerspruch zu erklären:
«Dieses Dilemma lösen die woken Aktivisten durch zwei Herangehensweisen auf: Zum einen überträgt man gnadenlos die eigenen naiven Vorstellungen auf den anderen und blendet unangenehme Aspekte des Gegenübers willentlich aus. In der Migrationsforschung wird beispielsweise seit zwei Jahrzehnten die Unterdrückung von Frauen in muslimischen Communitys ignoriert. Wer dies benannte, ist wie die türkischstämmige Soziologin Necla Kelek des Rassismus bezichtigt und aus dem Universitätsbetrieb ausgegrenzt worden.
Außerdem gehen woke Linke gemäß dem intersektionalen Feminismus davon aus, dass von weißen Menschen diskriminierte Opfergruppen erst dann politische Durchschlagskraft erhalten, wenn sie sich verbünden. Dieser Logik nach bilden Muslime und queere Menschen eine natürliche Allianz gegen den imperialen Westen, von der beide Opfergruppen profitieren. Diese grandiose Ausblendung der Wirklichkeit erklärt die kognitiven Dissonanzen. Postkoloniale Linke machen sich die Welt, wie es ihnen gefällt. Ich nenne dies auch gerne das Pippi-Langstrumpf-Syndrom.
Die von Ihnen genannten „Queers for Palestine“-Plakate stellen hierfür ein perfektes Beispiel dar. Queere Menschen werden in Gaza zu Gefängnisstrafen verurteilt; wahrscheinlich würden sie die ersten zehn Tage gar nicht überleben. Schauen Sie: Selbst im Westjordanland, wo die Gesetzgebung liberaler ist, fliehen viele queere Menschen nach Israel.»
Quelle:
„Bedenkliche Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit“ (Cicero)
Anmerkungen zu «Queers for Palestine»
«Queers» demonstrieren also Seite an Seite mit Islamisten, die ihnen ihrerseits die Existenzberechtigung absprechen. Das zeigt ein grosses Ausmass an Verblendung. In keinem Land des Nahen Ostens können „Queers“ auch nur annähernd so frei leben wie in Israel.
Identitätspolitik führt über weite Strecken in eine Parallelwelt. Der Slogan «Queers for Palestine» ist dafür ein gutes Beispiel. Zu denken geben muss dabei, dass «Queers» diese Theorien nicht einfach im Internet aufgeschnappt haben, sondern wohl in grossem Ausmass an Universitäten damit imprägniert wurden. Die Universitäten müssen ernsthaft klären, in welchen Bereichen identitätspolitische Theorien Wissenschaft korrumpiert haben. Denn daraus entstehen Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat.
Siehe auch:
Hamas-Massaker und akademische Verblendung
Susanne Schröter ist emeritierte Professorin am Institut für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie leitet zudem das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI). Zuletzt erschien ihr Buch „Der neue Kulturkampf“ im Herder-Verlag und im Jahr 2022 das Buch «Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmassung und Selbsthass»