Oliver Jens Schmitt ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Wien. Im Interview mit SRF spricht er über die Folgen, die Russlands Angriff auf Europa haben könnte. Nicht alle Länder haben verstanden, was der Krieg Russland gegen die Ukraine bedeutet.
Oliver Jens Schmitt sagt dazu:
«Es gibt die einen, die verstehen, worum es geht, dass dies kein Krieg Russlands gegen die Ukraine ist, sondern ein langfristig angelegter Angriff auf Europa. Und es gibt die anderen, die das nicht wahrhaben wollen. Dazu gehören auch Länder wie die Schweiz oder Österreich, neutrale Länder, die wirklich glauben, dass sie sich auf das Völkerrecht verlassen können, auch in dem Moment, in dem dieses durch Russland gebrochen wird.»
Der Angriff auf Europa strebt nach Hegemonie über den ganzen Kontinent
Oliver Jens Schmitt bringt auf den Punkt, was Putin-Anhänger in Europa nicht sehen oder auch nicht sehen wollen:
«Wir erleben nicht einen Krieg Russlands gegen die Ukraine, sondern es ist der erste Schritt zur Herstellung einer russischen Hegemonie über den ganzen Kontinent. Das wird in Russland ganz offen gesagt.»
Schwächesignale motivieren Putin dazu, einen Schritt weiter zu gehen und seinen Angriff auf Europa weiterzuführen. Er hat nur Respekt vor Stärke.
Oliver Jens Schmitt dazu:
«Nur wenn wir schnell eine Abschreckung gegenüber Russland erreichen, wird Russland aufhören, als Kriegstreiber in Europa aufzutreten. Gelingt das nicht und kommt Trump im Herbst an die Macht, wird es eine sehr gefährliche Situation geben und dies wahrscheinlich viel schneller, als die meisten von uns erwarten.»
Und was kommt auf Europa zu, wenn die Ukraine gegen Russland untergeht:
«Wir müssen davon ausgehen, dass die Ukraine, wenn sie nicht massiv unterstützt wird, vielleicht schon in diesem Jahr ganz massiv unter Druck kommt. Dies wird nicht nur grosse Flüchtlingsströme auslösen, sondern es wird Russland, das auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, auch ermuntern, weiterzumachen.»
Quelle:
Krieg gegen die Ukraine – Angriff auf Europa: «Die einen verstehen, worum es geht» (SRF)
Anmerkungen:
Putins Angriff auf Europa hat nicht erst mit dem Krieg gegen die Ukraine begonnen. Schon länger führt der Kreml einen hybriden Krieg gegen die europäischen Demokratien. Er fördert rechtsextreme Parteien finanziell und durch Propaganda. Es stellt sich die Frage, ob die demokratischen Gesellschaften diese Herausforderung angemessen realisieren und Gegenmittel finden.
Siehe dazu:
Herta Müller bringt Wladimir Putin auf den Punkt
Irredentismus in Putin’s Russland als Grundlage für Aggression
Kommt die «Zeitenwende» in der Schweiz an?
Anne Applebaum zur totalitären Entwicklung in Russland
Die Ukraine kämpft auch für europäische Demokratien
Putinismus – Ideologie und Verschwörungstheorien
Viele Herausforderungen für westliche Demokratien – packen wir das?