In den Niederlanden haben Rechtspopulisten um Geert Wilders gerade einen Erdrutschsieg eingefahren, wobei Wilders wohl eher bei den Rechtsextremisten zu Hause ist.
Stephan Israel schreibt dazu im Tages-Anzeiger aus Brüssel, es sei höchste Zeit, die Zeichen an der Wand zur Kenntnis zu nehmen:
«In Deutschland, Frankreich oder Italien könnten AfD und Co. massiv zugewinnen. Laut einer Umfrage sympathisieren mindestens 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler mit einer rechtspopulistischen, rechts- oder linksextremen Partei. Liberale, Konservative und Sozialdemokraten müssen hingegen mit zum Teil deutlichen Verlusten rechnen. Für proeuropäische Kräfte in Strassburg dürfte es zunehmend schwierig werden, Mehrheiten zu organisieren.»
Bekommt Geert Wilders reale Macht in den Niederlanden, könnte das für Europa in verschiedener Hinsicht schwierig werden. Jedenfalls greift er gern die Pfeiler der Demokratie an, bezeichnet Regierungsmitglieder als «Tyrannen», beschimpft Richter, redet vom Fake-Parlament oder spricht von Medienschaffenden als «Abschaum». In Wilder’s Programm finden sich ausserdem einige Forderungen, die im Widerspruch zur niederländischen Verfassung stehen, wie zum Beispiel das Verbot des Koran oder die Schliessung aller Moscheen. Er verlangt auch ein Referendum über den Ausstieg aus der EU.
Die liberalen Demokratien seien in der Defensive, schreibt Stephan Israel. Wenn Populisten einfache Lösungen anbieten, sei das verlockend in einer Welt, die immer komplexer und unübersichtlicher wird. Ehrliche und transparente Kommunikation sei hier die halbe Miete:
«Politiker wie Mark Rutte, die beim Lügen erwischt werden, die lieber schweigen wie Olaf Scholz in Deutschland oder die die Bodenhaftung verloren haben wie Emmanuel Macron in Frankreich sind ein Geschenk für Populisten. Es ist nicht zu spät, die Institutionen von Demokratie, Freiheit und Rechtstaat zu verteidigen.»
Was können traditionelle Parteien tun, um weitere Dammbrüche wie denjenigen von Geert Wilders zu verhindern?
Demokratische, nicht-extremistische Parteien müssen untereinander kooperationsfähig werden, um demokratische Mehrheiten zu sichern. Das gilt nicht nur aktuell in den Niederlanden im Hinblick auf Geerd Wilders.
Was könnte Wilders und andere Rechtspopulisten stoppen?
Demokratische Mehrheiten müssen aber auch belastbare Lösungen für die wichtigsten Probleme liefern.
Das Dogma von Austerität und Schuldenbremsen sei nicht nur in Deutschland letztlich ein Wachstumsprogramm für Populismus, schreibt Stephan Israel, und fährt fort:
« Zuletzt wurde in Den Haag auch der Eindruck vermittelt, die lange aufgestauten Probleme in der Landwirtschaft, im Wohnungsmarkt, im Gesundheitswesen oder in den Sozialversicherungen seien durch die Migration verursacht oder von der EU verschuldet.
Es hat noch nie funktioniert, wenn Regierende das Narrativ der Rechtspopulisten übernehmen. Die Wählerinnen und Wähler geben im Zweifel lieber dem Original als der Kopie ihre Stimme. Fatal ist auch, wenn Regierungen beim Thema Migration den Eindruck vermitteln, die Kontrolle verloren zu haben. Heute schafft es nach Europa, wer kräftig ist, zahlen kann oder Glück hat.»
Was linke Parteien mit dem Erfolg von Wilders zu tun haben, beschreibt Klaus Max Smolka in der «FAZ». Er weist darauf hin, dass Geert Wilders in seinem Parteiprogramm Rechtsaußenpositionen mit sozial(demokratisch)en Positionen verbindet, etwa der Abschaffung der Eigenbeteiligung an Gesundheitskosten. Linke Parteien müssen ein überzeugendes Angebot machen, damit Rechtspopulisten und Rechtsextreme ihnen nicht das Wasser abgraben. Doch die linken Parteien hätten nach dem Erfolg von Wilders jede Selbstkritik dazu vermissen lassen, wie es dazu kommen konnte, schreibt Klaus Max Smolka:
«Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind offenkundige Probleme der Migrationspolitik nüchtern schwierig zu besprechen. Ständig bekommen Niederländer zu hören, ihre Institutionen seien „strukturell rassistisch“. Die Identitätspolitik, die rapide an Einfluss gewonnen hat, konzentriert sich auf nichts anderes als äußerliche Merkmale, hält Weißen „unbewussten Rassismus“ und „Privilegien“ vor. Viele haben sich einschüchtern lassen Politik und Kultureinrichtungen und Unternehmen haben sich davon einschüchtern lassen. Das alles ist kein Grund, einen radikalisierten Islamgegner und Befürworter eines EU-Austritts zu wählen. Aber man sollte schon analysieren, woher der Erfolg rührt.»
Quellen:
Geert Wilders’ Durchbruch ist ein schlechtes Omen für die Europawahl (Tages-Anzeiger, Abo)
NIEDERLANDE NACH DER WAHL: Was Links mit Wilders zu tun hat (FAZ)
Anmerkungen:
Die Identitätspolitik der Linken arbeitet in vielerlei Hinsicht den Rechten in die Hände. Das müsste die Linke erkennen und entsprechende Kursänderungen vornehmen. Leider ist dieser Erkenntnisprozess in der linken Szene noch nicht sehr weit fortgeschriten.
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Kritik der Identitätspolitik von links: