Der Forensiker Jérôme Endrass erklärt, was die Woke-Welle mit Antisemitismus zu tun hat.
Der stellvertretende Leiter des Zürcher Amtes für Justizvollzug und ausserplanmässige Professor für forensische Psychologie an der Universität Konstanz forscht unter anderem zum Thema Extremismus.
In einem Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger» stellt die Interviewerin die Frage:
«Sie machen die Woke-Bewegung mitverantwortlich für eine zunehmende Militanz in der Gesellschaft – auch in Bezug auf den Antisemitismus?»
Antwort Jérôme Endrass:
«Woke ist ein sehr unscharfes Konstrukt und wird gerne instrumentalisiert. Ich sprach die Woke-Extreme an. Und diese Extremausprägung ist genauso problematisch wie alle anderen Extreme. Wenn an Universitäten die Anschläge vom 7. Oktober als eine legitime Reaktion auf Unterdrückung bezeichnet werden, dann haben wir ein Problem. Und wenn diese Einstellung mit einer Militanz auf der Strasse einhergeht, dann muss man sich nicht wundern, wenn sich Teile der jüdischen Bevölkerung eingeschüchtert fühlen.»
Antisemitismus ist weder links noch rechts
Antisemitismus sei weder links noch rechts, sondern leider ein stabiler Begleiter in allen Bevölkerungsschichten, sagt Endrass. Ihn störe die Instrumentalisierung des Antisemitismus, zum Beispiel wenn reflexartig auf die anderen gezeigt wird:
«Wird rechter Antisemitismus angesprochen, dann zeigen die Bürgerlichen auf die Linken – und umgekehrt.»
Quelle:
Interview über Antisemitismus bei jungen Männern: «Hass auf Juden und Hass auf Frauen gehen oft Hand in Hand»(Tages-Anzeiger)
Woke-Bewegung an Universitäten ist ein gravierendes Problem
Jérôme Endrass stellt zu Recht fest, dass «Woke» ein sehr unscharfes Konstrukt ist. Trotzdem ist es ausgesprochen wichtig, dass sich Universitäten, Medien, aber auch Bürgerinnen und Bürger in Demokratien mit diesem Phänomen kritisch auseinandersetzen.
Dazu ein paar Stichworte:
☛ Die Woke-Bewegung wird manchmal auch als «Identitätspolitik» thematisiert, wobei dieser Begriff auch viele Facetten umfasst. Diese Strömungen haben das Potenzial, Demokratie und Wissenschaft zu unterminieren. Siehe dazu:
Identitätspolitik als Gift für die Demokratie
Identitätspolitik unterminiert Wissenschaft
Identitätspolitik versus Universalismus
Identitätspolitik unterminiert Demokratie und Rechtsstaat
Identitätspolitik und Postfaktualismus greifen Basis der Wissenschaft an
☛ Woke-Phänomene und Identitätspolitik zeigen sich oft in einer Form, die als kultartig beschrieben werden kann. Zwischen Religion und Woke / Identitätspolitik gibt es eine Reihe von bemerkenswerten Gemeinsamkeiten. Siehe dazu:
Was Identitätspolitik mit Religion verbindet
☛ An Universitäten zeigt sich Woke / Identitätspolitik vor allem in den Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, dringt aber inzwischen auch in andere Bereiche vor. Prägend sind dabei Theorien aus Postkolonialismus und Gender Studies.
Siehe dazu:
Postkolonialismus als Quelle von Judenhass
Harvard Universität: Postkolonialismus & Antisemitismus Hand-in-Hand
Postkolonialismus auf Abwegen: Begeisterung für Osama Bin Laden
Hamas-Massaker und akademische Verblendung
Antisemitismus an der Central European University (CEU) in Wien
☛ Buch zum Thema:
«Woke – wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht», von Peter Köpf und Zana Ramadani.