Es ist oft von Bürgerrechten die Rede – und das ist fraglos ein wichtiges Thema. Bürgertugenden kommen viel seltener zur Sprache, obwohl sie eine Grundlage sind, auf die demokratische Gesellschaften nicht verzichten können. Die Demokratie braucht Bürgertugenden, kann sie aber als freiheitliche Gesellschaft nicht erzwingen – ein Dilemma, das zur Herausforderung werden kann.
Was sind die Bürgertugenden – und warum sind sie wichtig?
Bürgertugenden sind Werte und Verhaltensweisen, die für das Zusammenleben in einer Gesellschaft als wichtig erachtet werden. Dazu zählen Aspekte wie Verantwortungsbewusstsein, Respekt, Toleranz, Solidarität und Engagement, aber auch Mäßigung, Demut und Nachsicht. Diese Tugenden fördern das soziale Miteinander und tragen dazu bei, ein harmonisches und funktionierendes gesellschaftliches Umfeld zu gestalten. Wenn etablierte Demokratien zunehmende Krisensymptome zeigen, dann hängt das möglicherweise auch daran, dass wichtige Bürgertugenden erodieren.
Die Bedeutung der Bürgertugenden liegt in ihrer Rolle als Basis für eine demokratische und gerechte Gesellschaft. Sie helfen, das Vertrauen zwischen den Bürgern zu stärken, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern und Konflikte friedlich beizulegen. Indem Menschen solche Tugenden praktizieren, tragen sie aktiv zur Verbesserung ihrer Gemeinschaft bei und unterstützen den sozialen Zusammenhalt.
Der Philosoph Otfried Höffe beschreibt ausführlich spezifische Bürgertugenden, die er als eine aus der Antike stammende Ergänzung zu Institutionen und Gesetzen sieht. Für ihn stellt sich die Frage, ob für eine funktionierende und sich weiterentwickelnde Demokratie das Selbstinteresse der Bürgerinnen und Bürger ausreichend ist oder ob darüber hinaus Bürgertugenden nötig sind.
Das Bürgersein formuliert Otfried Höffe entlang von Bürgertugenden, durch deren Ausübung sich die Bürger einen Status als Mitgestalter erwerben:
► Rechtssinn, als Minimum im Bereich der Bürgertugenden. Diese bescheidenste Bürgertugend muss bei der Mehrzahl der Bürger vorhanden sein, weil ein Staat kollabieren würde, dessen Bürger zu viele «Fouls» begehen. Sie ist jedoch bescheiden, denn im Sinne von Rechtstreue fordert sie nur, sich nichts zuschulden kommen zu lassen – und entweder aus Angst vor Strafen oder aus freien Stücken die geltenden Gesetze zu befolgen.
Eine Steigerung der Bürgertugenden – die mittlere Stufe – besteht in der personalen Gerechtigkeit, beziehungsweise dem:
► Gerechtigkeitssinn: Er engagiert sich für eine im grossen und ganzen gerechte Verfassung und sorgt damit für den Abbau von Privilegien und Diskriminierungen. Er setzt sich ein für eine unparteiische Anwendung von Gesetzen, auch gegen das hemmungslose Ausnützen von Schlupflöchern.
Eine weitere Steigerung der Bürgertugenden wird erreicht im:
► Gemeinsinn: Hier trifft man zum Beispiel den sozialen Gemeinsinn, der sich freiwillig und ohne Verpflichtung um gemeinnützige Aufgaben kümmert, und den politischen Gemeinsinn, der ein Gemeinsinn als Staatsbürgersinn ist. Er bemüht sich um ein hohes Mass an Beteiligung an seinem Gemeinwesen. Dazu gehört, sich fundiert über politische Vorgänge auf allen Ebenen zu informieren und sich an Wahlen und Abstimmungen zu beteiligen.
Otfried Höffe hebt hervor, dass diese Tugenden nicht nur individuelle Eigenschaften sind, sondern auch kollektiv gefördert werden müssen, um eine lebendige Demokratie zu gewährleisten.
Wie kann man Bürgertugenden fördern?
Es gibt verschiedene Empfehlungen, um Bürgertugenden zu fördern:
- Bildung und Aufklärung: Schulen und Bildungseinrichtungen können Programme und Lehrpläne entwickeln, die Bürgerkunde und ethische Werte vermitteln. Diskussionen über die Bedeutung von Verantwortung und Respekt können ebenfalls hilfreich sein.
- Vorbildfunktion: Individuen in Führungspositionen oder öffentliche Persönlichkeiten können durch ihr Verhalten als Vorbilder fungieren. Wenn sie Bürgertugenden vorleben, inspirieren sie andere, dies ebenfalls zu tun.
- Engagement in der Gemeinschaft: Freiwilligenarbeit und die Teilnahme an lokalen Projekten fördern das Gemeinschaftsgefühl und das Bewusstsein für die Bedürfnisse anderer. Dies stärkt die Solidarität und das Verantwortungsbewusstsein.
- Dialog und Austausch: Offene Foren und Diskussionsrunden bieten Raum für den Austausch von Ideen und Perspektiven. Solche Plattformen fördern Toleranz und Respekt gegenüber unterschiedlichen Meinungen.
- Belohnung und Anerkennung: Initiativen, die bürgerschaftliches Engagement belohnen oder anerkennen, können Anreize schaffen, sich aktiv für die Gemeinschaft einzusetzen.
Quellen:
«Lexikon der Ethik», von Otfried Höffe, C. H. Beck Verlag 2008.
«Kritik der Freiheit», von Otfried Höffe, C. H. Beck Verlag 2015.
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