Wenn darüber diskutiert wird, wie Demokratien widerstandsfähig gegen Extremisten gemacht werden können, kommt oft die Forderung nach mehr politischer Bildung. Seltener wird beachtet, dass auch Ethikunterricht zur Radikalisierungsprophylaxe beitragen kann.
Im Ethikunterricht geht es um die Vermittlung von Wissen über Werte, Religionen und Weltanschauungen, sowie über philosophische Fragestellungen – und um die Diskussion dieser Themen. Der Ethikunterricht ist dabei einer neutralen Darstellung verpflichtet, die an keine Glaubensrichtung gebunden ist.
Ethikunterricht ist oft ein Ersatzfach zum konfessionellen Religionsunterricht. In manchen Ländern wird er aber auch als Wahlpflichtfach oder ordentliches Lehrfach angeboten.
Wie kann Ethikunterricht zur Radikalisierungsprophylaxe beitragen?
Hier sind einige Möglichkeiten aufgeführt, wie Ethikunterricht gegen Extremismus widerstandsfähiger machen und damit die Demokratie stärken kann:
- Förderung kritischen Denkens: Ethikunterricht soll Schüler dazu anregen, kritisch über moralische und gesellschaftliche Fragen nachzudenken. Dies kann dazu beitragen, dogmatische Denkweisen zu hinterfragen und die Fähigkeit zu entwickeln, verschiedene Perspektiven zu verstehen. Selbstkritische Reflexion könne die Endlichkeit der eigenen Vernunft vor Augen führen, sagt Markus Tiedemann, Professor für Didaktik der Philosophie und Ethik an der TU Dresden, und führt dazu aus: «Ein Beispiel: „Kann Gott einen Stein erschaffen, den er selbst nicht heben kann?“ Fragen wie diese setzen einen Reflexionsprozess in Gang, der sich mäßigend auf religiösen Fundamentalismus auswirkt. Wie kann ich blind den Geboten eines angeblich allmächtigen Gottes folgen, wenn ich diese Allmacht nicht einmal widerspruchsfrei denken kann? Ein zweites Beispiel: „Wie kann ich eine politische Bewegung auf den Begriff einer nationalen Identität gründen, wenn ich gleichzeitig nicht in der Lage bin, diesen essenziell oder historisch zu definieren?“ Wo meine Rechtfertigungen inkohärent werden, ist für meine Forderungen Bescheidenheit geboten. Das zu verstehen ist eine wirkungsmächtige Dogmatismusprophylaxe.»
- Wertvermittlung: Durch die Auseinandersetzung mit ethischen Grundsätzen und Werten wie Toleranz, Respekt und Gerechtigkeit können Schüler ein stärkeres Bewusstsein für soziale Verantwortung entwickeln. Dabei zeigt sich aber auch ein Wertevermittlungsdilemma. Markus Tiedemann erklärt dazu: «Wie kriegen wir es hin, dass Menschen moralisch wertvolle Grundsätze entwickeln, aber gleichzeitig dem Prinzip des Selbstdenkens und der freien Urteilskraft treu bleiben? Wir können ja nicht sagen: Ich möchte, dass du deine autonome Urteilskraft schulst, aber am Ende musst du ein Vertreter von Menschenrechten, Toleranz und Demokratie sein. Wir können diese Ergebnisse nicht vorgeben ohne die philosophische Essenz des Selbstdenkens zu verraten. Es geht nicht um Wertevermittlung, sondern Werte-Entwicklung, die von Generation zu Generation neu ausgetragen werden muss.»
- Diskussion und Dialog: Ethikunterricht gibt Raum für offene Diskussionen über kontroverse Themen. Er fördert den Dialog und die Fähigkeit, Meinungsverschiedenheiten friedlich auszutragen, was Radikalisierung entgegenwirken kann.
- Empathie und Verständnis: Indem der Ethikunterricht den Schülern ermöglicht, die Perspektiven anderer Menschen kennenlernen und zu verstehen, fördert er Empathie und kann helfen, Vorurteile abzubauen und ein respektvolles Miteinander zu entwickeln.
- Identitätsbildung: Ethikunterricht kann Schülern helfen, ihre eigene Identität und Werte zu reflektieren. Das kann sie dabei unterstützen, sich in einer pluralistischen Gesellschaft zurechtzufinden und extremistischen Ideologien entgegenwirken.
Ethikunterricht kann also ein wertvolles Werkzeug sein, um jungen Menschen die Fähigkeiten und Werte zu vermitteln, die sie benötigen, um sich gegen Radikalisierung zu wappnen.
Quelle:
Philosoph zum Ethikunterricht: „Menschenrechte wurden gegen Religionen erkämpft“ (Der Standard). Oder hier.
Beitrag zum Stichwort «Ethikunterricht» auf Wikipedia.
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Anmerkungen:
► Wenn es um die Stärkung der Demokratie geht, wäre Ethikunterricht auch für Erwachsene sinnvoll.
► Markus Tiedemann hat ein sehr lesenswertes Buch geschrieben:
«Post-Aufklärungs-Gesellschaft – Was wir verlieren und was uns bevorsteht», von Markus Tiedemann, Brill/Mentis Verlag 2023. Siehe dazu auch: Buchbeschreibung und Zitate.