Misstrauen ist unverzichtbar – auch in Demokratie und Wissenschaft. Wer ganz ohne Misstrauen unterwegs ist, wird jedem Schlangenölverkäufer auf den Leim gehen – politisch und privat.
Misstrauen im Übermass ist aber auch nicht lebbar, weder politisch noch privat. Also kommt es darauf an, welche Art von Misstrauen wir pflegen und in welchem Mass.
Gesundes versus toxisches Misstrauen
Etwas zugespitzt könnte man unterscheiden zwischen toxischem und gesundem Misstrauen.
► Toxisches Misstrauen verläuft streng nach Freund-Feind-Schema. Es richtet sich nur auf ein Gegenlager, nicht auf die eigenen Überzeugungen. Es geht ihm nicht darum der Wahrheit näher zu kommen, sondern die eigene Position zu stärken. Toxisches Misstrauen geht deshalb sehr selektiv vor. Es ist reflexartig überkritische gegenüber Experten des gegnerischen Lagers, gegenüber offiziellen Verlautbarungen und Meldungen der «Mainstreammedien». Gegenüber allen Stimmen aus dem eigenen Lager ist das toxische Misstrauen dagegen quasi ausgeschaltet. Nimmt toxisches Misstrauen überhand, bringt das für Demokratien erhebliche Probleme mit sich:
- Der politische Gegner wird zum Feind. Das untergräbt eine produktive Debattenkultur und erschwert das Finden von Kompromissen. Siehe dazu: Debattenkultur in der Demokratie
- Die Polarisierung kann sich vertiefen, wodurch Verschwörungstheorien an Bedeutung gewinnen. Siehe dazu: Polarisierung & Verschwörungstheorien
Nimmt die Polarisierung sehr starke Ausmasse an, entstehen zwei Lager, die in vielerlei Hinsicht in unterschiedlichen Welten leben und kaum mehr miteinander kommunikationsfähig sind. Es entwickelt sich dann eine Art von Stammesdenken (Tribalismus). Siehe dazu: Tribalismus, digitaler: Problematik des Stammesdenken
Das toxische Misstrauen pflegt eine durchgängige «Davon-glaube-ich-kein-Wort»-Haltung. Dieser abstrakte Generalverdacht gegenüber der «offiziellen Geschichte als Ganzem» bringt kaum Erkenntnisgewinn.
► Gesundes Misstrauen ist anlassbezogen und konkret. Es stellt kritische Fragen zu einem bestimmen Sachverhalt und einer bestimmten Deutung. Gleichzeitig geht es aber nicht davon aus, schon im Vorneherein die Sachlage einwandfrei zu kennen. Es bleibt offen gegenüber neuen Gedanken und neuen Sprechern. Gesundes Misstrauen bleibt an Fakten interessiert und ist sich bewusst, dass es sich auch irren kann. Es weiss um die Begrenztheit jedes menschlichen Verstandes – also auch des eigenen.
Gesundes Misstrauen ist sich zudem bewusst, dass es in vielen Wissensbereichen Fachleute gibt, die eine Wissensvorsprung haben gegenüber Menschen, denen diese Wissensbereiche mehr oder weniger fremd sind. Das heisst nicht, dass man allen Fachleuten alles blind glauben sollte. Aber man sollte auch nicht alles ablehnen, nur weil es von Experten kommt – wie es das toxische Misstrauen nicht selten macht.
Eine gewisse Portion an gesundem Misstrauen gehört zu Demokratie und Wissenschaft.
Wie kann man mit toxischem Misstrauen umgehen?
Der Umgang mit toxischem Misstrauen ist oft nicht einfach, vor allem wenn es sich um eine chronifizierte Haltung handelt. Im politischen Kontext sollten Demokratinnen und Demokraten niemanden wählen oder sonst wie unterstützen, der zu toxischem Misstrauen neigt. Im persönlichen Kontext ist es oft sinnvoll, wenn man auf toxisches Misstrauen stösst, zuerst einfach nur Fragen zu stellen (Wie kommst du zu dieser Ansicht?). Wenn Pauschalisierungen auftauchen, lohnt sich die genaue Nachfrage (Was meinst du genau, wenn du von ‘Der Pharmaindustrie’ redest?).
Quellen:
«Wahrheit und Verschwörung», von Jan Skudlareck, Reclam Verlag 2021.
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen (verschörungstheorien.info)