Andrea Illy ist von Haus aus Chemiker und leitet das traditionsreiche Unternehmen Illycaffè aus dem norditalienischen Triest in dritter Generation. Im Gespräch mit dem Tages-Anzeiger spricht er über den Kaffeehandel und die Zukunft der Demokratie.
Der Klimawandel und Spekulanten aus dem Hochfrequenzhandel lassen die Kaffeepreise explodieren und treiben viele Kaffeebauern in den Ruin. Andrea Illy spricht aber auch darüber, wie sich wirtschaftliche Themen auf die Stabilität von Demokratien auswirkt:
«Ich bin über die Zukunft der Demokratie besorgt, leider. Angela Merkel sagte vor einigen Jahren in Davos, die Demokratien hätten es nicht geschafft, zu zeigen, dass sie mehr Wohlstand hervorbrächten als die autoritären Staaten. Das ist tatsächlich das Problem. Demokratische Regierungen müssen Entscheidungen treffen, die sehr komplex und oft langfristig angelegt sind. Sie haben einfach nicht die Zeit, um zu beweisen, dass ihre Entscheidung richtig war. Sie haben oft nicht einmal die Zeit, solche Entscheidungen technisch vorzubereiten. Autoritäre Regierungen haben es da einfacher: Sie haben kein zeitliches Limit.»
Zu den Behauptungen autoritärer Regime, die versprechen, die Probleme in vier Wochen zu lösen, äussert sich Andrea Illy allerdings sehr deutlich:
«Alles nur Lärm!»
Was sagt Andrea Illy zum Ende der Globalisierung?
Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Globalisierung, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten kannten, nicht mehr existiert, sagt Andrea Illy. Die neuen Regeln seien andere, die Welt sei nun multipolar und es komme auf die richtigen Deals an. Alles sei maximal im Fluss. Relativ klar scheine ihm nur, dass es diesen alten Win-win-Ansatz aus Politik und Wirtschaft, wonach alle etwas gewinnen können, so nicht mehr gibt:
«Jetzt heisst es: win-loose. I win, you loose. Einer verliert immer.»
Weniger pessimistisch zeigt sich Andrea Illy bezüglich der Zukunft erneuerbarer Energien:
«Ich bin bei dem Punkt weniger pessimistisch. Es ist schon so viel Neues im Bereich der erneuerbaren Energien entstanden, die Industrie hat schon so viel Geld in ihre grüne Zukunft investiert, dass sie kaum Lust haben wird, jetzt wieder rückwärtszugehen. Europa wird keine Lust dazu haben und auch China nicht, wo die Industrie schon sehr weit ist bei grünen Technologien. Überall finden seit einiger Zeit langfristige Investitionen statt, und nur ein sehr seltsamer Mensch könnte auf die Idee kommen, dass Menschen jetzt wieder zurückwollen und alles für obsolet halten.»
Umdenken beim Kaffeehandel nötig
Im Kaffeehandel fordert Kaffeeunternehmer Andrea Illy ein Umdenken:
«Ich sage es ganz offen – alle hatten lange Zeit einen sehr opportunistischen Ansatz: die Ware immer zum besten Preis kaufen. Wenn wir allerdings so weitermachen würden, wäre das ein Problem. Klimawandel und zunehmende Armut hätten zur Folge, dass uns irgendwann schlichtweg die Lieferanten fehlen, das System würde zusammenbrechen. Deswegen müssen wir umdenken, wir müssen enger mit den Bauern zusammenarbeiten und wir müssen ihnen mehr helfen.»
Die Lage der Kaffeebauern verschlechtere sich seit Jahren immer weiter:
«Je mehr Überschwemmungen, Dürreperioden und andere Klimawandelphänomene ihre Ernten bedrohen, desto weniger Geld haben sie. Und desto grösser ist die Gefahr, dass sie ganz verschwinden.»
Andrea Illy fordert einen Mix aus öffentlichen und privaten Finanzhilfen, um das System aufrechtzuerhalten. Er geht davon aus, dass wir in den nächsten zehn Jahren an die zehn Milliarden Dollar brauchen werden – also mindestens eine Milliarde im Jahr:
«Wenn wir jetzt aber gar nichts unternehmen, werden wir in fünf Jahren eine Kaffeekrise sehen, die wir dann kaum noch beherrschen werden.»
Angesichts von Kriegen, Zöllen und Handelskonflikten hofft Andrea Illy, dass sich die Lage in den nächsten Monaten mal irgendwann beruhigt, weil das ja jetzt nicht ewig so weitergehen könne:
«Ein neues Problem nach dem anderen, langfristig hält man das nicht aus. Und irgendwann schläft man nicht mehr …»
Quelle:
Andrea Illy im Interview:
«Wir erleben gerade den perfekten Sturm», sagt der Espresso-König (Tages-Anzeiger, Abo)
Anmerkung:
Insgesamt sehen wir hier ein Gespräch mit einem Unternehmer, der sich Gedanken über die grösseren Zusammenhänge macht. Die Wirtschaft muss Hand bieten zu Massnahmen, die der Stabilisierung der Demokratien dienen. Sie profitiert auch von einer demokratischen Gesellschaft, die für verlässliche Regeln sorgt. Für die Stabilisierung der Demokratien ist aber auch die Zivilgesellschaft gefordert. Siehe dazu eine Kommentar von Hans Rauscher: