Der Historiker Egon Flaig legt ein tiefschürfendes Buch vor, das nicht allen gefällt, aber sehr lesenswert ist. Er sieht sich als Verfechter eines «aufgeklärten Konservativismus». An der EU kritisiert er mangelnde demokratische Legitimierung, Überbürokratisierung, sowie Einschränkungen der nationalen Souveränität der Mitgliedstaaten. Er äussert sich auch kritisch zu einer Migrationspolitik, die seines Erachtens zu wenig die Grenzen schützt. Das alles wird vielen Menschen im linken politischen Spektrum alles andere als passen. Vor allem von identitätspolitisch geprägten Aktivisten wurde denn auch mehrfach versucht, Egon Flaig an öffentlichen Auftritten zu hindern. Diese Cancel Culture ist verwerflich, denn der Historiker steht eindeutig auf dem Boden der demokratischen Verfassung (bzw. des Grundgesetzes), auch wenn er manchmal durchaus polemisch formuliert.
Gerade auch politisch linkspositionierten Menschen ist das Buch von Egon Flaig zu empfehlen. Schliesslich ist es wichtig, die besten Argumente des politischen Gegners zu kennen. Und Egon Flaig liefert Argumente.
Aber auch Konservative werden in diesem Buch wertvolle Erkenntnisse finden. Egon Flaig zeigt auf, was wir verlieren, wenn wir Aufklärung, Universalismus und politische Vernunft aufgeben.
So setzt er sich zum Beispiel detailliert mit den blinden Flecken des Postkolonialismus auseinander und mit den problematischen Seiten im Denken von Ikonen des Postmodernismus wie Michel Foucault. Und er verteidigt entschieden Aufklärung und Universalismus. Das ist heute mehr denn je notwendig.
Der Verlag schreibt zum Buch von Egon Flaig:
«Dass menschenrechtliche Prinzipien universal sein sollen, ist ein Gebot der Vernunft, das uns die Aufklärung auferlegt hat. Indes, wie sind die Erfordernisse dieses Universalismus zu erfüllen in der jeweiligen konkreten Weltlage? Das vermag uns nur eine politische Vernunft zu sagen, welche sich – anders als Kants praktische Vernunft – in Zeithorizonten bewegt. Aber eben diese Vernunft verliert heute rasch Terrain an antiuniversalistische Theorien, die kulturelle Sonderrechte propagieren und verfälschte Vergangenheiten produzieren. Dabei gerät die gute Gesinnung zum Maßstab des Handelns und die Entrüstung zum Mittel geistiger Auseinandersetzung. Um zu ermessen, was hierbei auf dem Spiel steht, verlangt Egon Flaig geistesgeschichtliche Rückbesinnung. Er fragt zum einen, welche Diskurse eine antiuniversalistische Einstellung legitimiert und vorangetrieben haben; und er erörtert zum anderen, weshalb die politische Vernunft auf historische Verankerung angewiesen ist. Denn allein aus einem kulturellen Gedächtnis heraus, das sich der Aufklärung verpflichtet weiß, gewinnen wir die Orientierung für politisches Handeln im Geiste eines emanzipatorischen Universalismus.»
Zitate aus dem Buch von Egon Flaig:
Wie sich Egon Flaig eine demokratischere Vereinigung Europas vorstellt, kommt in diesem Zitat zum Ausdruck:
«Die Nationen des lateinischen Europa werden nicht umhin kommen, den eurokratischen Moloch abzuschaffen. Nur so wird der Weg frei, um einen demokratischen Bundesstaat zu gründen und diesem mit Volksentscheiden eine gemeinsame Verfassung zu geben, die auf der Souveränität eines damit entstehenden europäischen Volkes beruht; denn eine Demokratie ohne Demos gibt es nicht.» (Seite 361)
Entgegen dem zeitgeistigen Postmodernismus beharrt Egon Flaig auf der Bedeutung der Wahrheit für die Demokratie:
«Ein fataler Irrtum wäre es, zu meinen, das Politische sei per se auf Lügen gegründet und bedürfe der Wahrheit nicht: Alle sozialen Beziehungen lösten sich binnen weniger Stunden auf, wenn nicht eine zureichende Quote von Menschen tagtäglich bürgte für tatsächliche Gegebenheiten oder Begebenheiten. Freilich eignet allen Wahrheiten ein zwingender Charakter; sie begrenzen die Möglichkeiten des Handelns schmerzlich.» (Seite 328)
Quelle:
☛«Die Niederlage der politischen Vernunft – Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen», von Egon Flaig, zu Klampen Verlag 2017.
Siehe auch:
Aufklärung – ihre Bedeutung für die Entwicklung der Demokratie
Universalismus – seine Bedeutung für die Demokratie
Identitätspolitik versus Universalismus
«Post-Aufklärungs-Gesellschaft – Was wir verlieren und was uns bevorsteht», von Markus Tiedemann, Brill/Mentis Verlag 2023. Siehe dazu auch: Buchbeschreibung und Zitate.