Der Universalismus geht davon aus, dass allen Menschen bestimmte Rechte zeit- und ortsunabhängig zustehen. Damit ist die Überzeugung verbunden, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen in der Lage sind, viele gemeinsame Werte zu teilen und sich auf manche Grundsätze zu einigen.
Universalistische Vorstellungen sind nicht selbstverständlich – weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Partikularismus und Stammesdenken waren und sind hartnäckige Gegensätze zum Universalismus. Die Philosophin Susan Neiman schreibt dazu in ihrem Buch «Links ≠ woke»:
«In früheren Zeiten waren Vorstellungen grundsätzlich partikulär, so wie Rechtsvorstellungen früher religiös waren, bis hin zu jedem kleinen Stadtstaat in Griechenland, dessen Gottheiten Menschen Zuflucht gewährten, die von den Gottheiten des Nachbarstaats gehetzt wurden…..Die meisten Religionsgesetze kannten Vorschriften zum Umgang mit Angehörigen anderer Religionen, obgleich sie am ehesten dann Erwähnung fanden, wenn gegen die Vorschriften verstossen wurde. Der Gedanke, für Protestanten und Katholiken, Juden und Muslime, Herren und Knechte müsse dasselbe Recht gelten, einzig und allein, weil sie alle Menschen sind, ist eine verhältnismässig junge Errungenschaft.» (Seite 32)
Dieser historisch verhältnismässig junge Universalismus hat starke Wurzeln in den Ideen der Aufklärung. Die Aufklärung, die im 17. und 18. Jahrhundert hauptsächlich in Europa stattfand, legte grossen Wert auf Vernunft, Wissenschaft und individuelle Freiheit. Universalistische Ideen, die die universelle Gültigkeit von Menschenrechten und moralischen Prinzipien betonen, wurden durch die Aufklärung entscheidend gestärkt. Philosophen wie Immanuel Kant (1724 – 1804) argumentierten, dass moralische Gesetze und Rechte für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem sozialen Status gelten sollten.
Universalismus ist unverzichtbar für Demokratien
In dem er die Idee vertritt, dass bestimmte Rechte und Freiheiten für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Religion oder anderen Merkmalen gelten sollen, ist der Universalismus eine unverzichtbare Grundlage für die Demokratie. Universalistische Grundüberzeugungen fördern die Gleichheit und Gerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft und sind oft in den Verfassungen demokratischer Staaten verankert.
Hier vier Punkte, an denen der Universalismus die Demokratie massgeblich beeinflusst:
- Gleichheit vor dem Gesetz: Der Universalismus unterstützt die Vorstellung, dass alle Bürger gleichermassen behandelt werden sollten, was eine zentrale Voraussetzung für demokratische Prozesse ist.
- Menschenrechte: Der Universalismus legt den Fokus auf die universellen Menschenrechte, die als Basis für die Demokratie dienen. Diese Rechte sind für alle Menschen gültig und schaffen einen Rahmen, in dem demokratische Werte sich entfalten können.
- Partizipation: Eine demokratische Gesellschaft braucht die aktive Teilnahme möglichst aller Bürger. Universalismus fördert die Inklusion und das Recht auf Mitbestimmung, sodass jede Person eine Stimme hat.
- Toleranz und Respekt: Der Universalismus motiviert zu Toleranz und Respekt gegenüber unterschiedlichen Kulturen und Meinungen, was für einen konstruktiven politischen Dialog in einer Demokratie entscheidend ist.
Universalistische Überzeugungen fördern dementsprechend ein gerechtes und inklusives demokratisches System, das die Rechte und Freiheiten aller Bürger schützt.
Kritik am Universalismus
Universalistische Prinzipien werden wohl kaum je vollständig umgesetzt. Schon im Zeitalter der Aufklärung, das wesentlich zu ihrer Entfaltung beitrug, waren zum Beispiel Frauen nicht annähernd gleichberechtigt. Trotzdem ist der Universalismus eine wichtige regulative Idee, ein Wegweiser, an dem man sich orientieren kann, um Schritte in diese Richtung zu machen.
Der Universalismus wird aus verschiedenen Richtungen kritisiert oder gar angefeindet:
► Rechtsextreme kritisieren den Universalismus häufig aus einer nationalistischen oder ethnischen Perspektive. Sie argumentieren, dass universelle Werte und Rechte die Identität und Kultur bestimmter Nationen oder ethnischer Gruppen untergraben. Sie tendieren dazu, eine exklusive Sichtweise zu vertreten, die die Überlegenheit ihrer eigenen Gruppe unterstreicht und die Vielfalt menschlicher Erfahrungen und Kulturen ablehnt. Ungleichheit gehört zu den Kernelementen rechtsextremer Ideologie, die damit kompatibel ist mit autoritären Regimen, aber unverträglich mit jeglichen universalistisch-demokratischen Gesellschaften. Die radikale Absage rechtsextremer Ideologie an den Universalismus bringt für Minderheiten ein grosses Risiko mit sich, unter die Räder zu kommen.
Siehe dazu auch:
Rechtsextremismus als Gefahr für demokratische Gesellschaften
► Identitätspolitische Linke werfen dem Universalismus vor, eine Erfindung alter weisser Männer zu sein. Er diene dazu, eurozentristische und kolonialistische Ansichten auf die Welt zu verschleiern. Solche Vorwürfe kommen vor allem aus postkolonialen Theorien und aus einer identitätspolitisch eingefärbten Variante des Feminismus. Sie sprechen zum Teil tatsächlich heikle Punkte im Universalismus an, interpretieren ihn aber oft hochgradig einseitig und verzerrt – und agieren dabei manchmal selber eurozentristisch. Hier mehr dazu, wie Identitätspolitik universalistische Haltungen unterminiert:
Identitätspolitik versus Universalismus
► Islamisten werfen dem Universalismus oft eine westlich geprägte Sichtweise vor, bei der die kulturellen und religiösen Werte anderer Gesellschaften nicht ausreichend berücksichtigt werden. Sie sagen, dass universelle Menschenrechte und Werte nicht immer mit den spezifischen Traditionen und Glaubenssystemen des Islam oder anderer Kulturen in Einklang stehen. Damit deckt sich ihre Kritik oft mit derjenigen aus identitätspolitisch-linken Kreisen, insbesondere aus dem Postkolonialismus.
Die islamistische Ideologie kollidiert aber auch auf einer grundsätzlichen Ebene mit zentralen Werten des Universalismus, zum Beispiel mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau. In vielen islamischen Ländern gilt das islamische Recht, die Scharia. In ihr werden Muslime und Nicht-Muslime in vielerlei Hinsicht anders behandelt, zum Beispiel im Strafrecht, bei vorgeschriebenen religiösen Praktiken und hinsichtlich ihres Rechtsstatus. Die Scharia steht in fundamentalem Gegensatz zum Universalismus und damit auch zur Demokratie.
Siehe auch:
Islamismus als antidemokratische Ideologie
Fazit:
Der Universalismus sollte sich selbstkritisch mit seien Schwachpunkten befassen und jeden Anflug von Arroganz oder Überheblichkeit vermeiden. Gefragt ist ein reflektierter, kultursensibler Universalismus.
Gegenüber fundamentalistischer Kritik aus der Ecke von Rechtsextremismus, linker Identitätspolitik und Islamismus ist es aber wichtig, den Universalismus entschieden zu verteidigen.
Denn ohne Universalismus stehen Demokratie und universelle Menschenrecht zur Disposition.
Quelle:
«Links ≠ woke», von Susan Neiman, Hanser Verlag 2023. Buchbesprechung und Zitate.
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