Liberale Demokratien haben den grossen Vorteil, dass niemand gezwungen wird, sich politisch zu betätigen. Es ist also möglich, dass Bürgerinnen und Bürger sich ein Leben lang ausschliesslich um ihre eigenen geschäftlichen und privaten Belange kümmern. Andererseits ist es jedoch unbestreitbar, dass Demokratien ohne Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürgern nicht existieren können. Herrscht Gleichgültigkeit gegenüber dem demokratischen System, verlieren demokratische Gesellschaften den Boden, auf dem sie stehen. Ziehen sich viele Menschen in ihr privates Gärtchen zurück, bleibt das nicht ohne Folgen für die Demokratie.
Der Philosoph Roland Kipke schreibt zum Thema «Gleichgültigkeit» in seinem Buch «Jeder zählt»:
„Die Gleichgültigkeit ist ein Nervengift für die Demokratie. Autoritäre Präsidenten, Möchtegern-Diktatoren, fanatische Bewegungen – sie alle können aufgehalten werden bei ihrem Versuch, eine Demokratie auszuhöhlen und zum Einsturz zu bringen. Dann nämlich, wenn die Bürger Verantwortung übernehmen für ihre Ordnung der gleichen Freiheit, für ihre Demokratie, und sich den Autoritären entgegenstellen. Wenn aber Gleichgültigkeit herrscht, haben die Feinde der Freiheit schon gewonnen. An der Gleichgültigkeit geht die Demokratie zugrunde.“
Zitat aus: «Jeder zählt, Was Demokratie ist und was sie sein soll, von Roland Kipke, J. B. Metzler Verlag 2018, S. 170.
Gleichgültigkeit spielt autoritären Tendenzen in die Hände
Gleichgültigkeit als Gefahren für Demokratien, das war auch ein Thema für den grossen Liberalen Ralf Dahrendorf (1929 – 2009). Er schreibt in seinem Buch «Auf der Suche nach einer neuen Ordnung»:
„Totalitäre Regimes beruhen auf der ständigen Mobilisierung aller zum Zweck der Stärkung eines Gewaltregimes. Autoritäre Regierung hingegen lebt von der Apathie der Bürger, die ihren eigenen, «privaten» Interessen nachgehen, während eine Nomenklatura das öffentliche Interesse in eines zur eigenen Machterhaltung verwandelt hat.“
Quelle:
«Auf der Suche nach einer neuen Ordnung», von Ralf Dahrendorf, C. H. Beck Verlag2003, Seite 127.
In stabilen Zeiten funktionieren Demokratien wohl auch dann, wenn ein grösserer Teil der Bevölkerung in Gleichgültigkeit versinkt, kaum Interesse an demokratischer Politik zeigt und sich nur um den eigenen „Garten“ kümmert.
Das ist aber nicht mehr gewiss in Zeiten wie diesen, in denen liberale Demokratien weltweit angegriffen werden und mit dem Rücken zur Wand stehen. Tiefe Wahlbeteiligung und schlecht informierte Wähler können problematische politische Entwicklungen fördern.
In solchen Zeiten sind vielmehr die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger nötig. Institutionen und Organisationen, die den Rechtsstaat und die Demokratie verteidigen, sollten zudem so stark wie möglich unterstützt werden. Es braucht zudem einen politischen Diskurs darüber, weshalb Gleichgültigkeit gegenüber dem demokratischen System entsteht und wie man Menschen aus diesem Zustand wieder zurückgewinnen kann.
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