Aufmerksamkeit ist im Informationszeitalter ein knappes Gut. Medienanbieter aller Art müssen sich diese Aufmerksamkeit um jeden Preis erkämpfen. Nur so bekommen Medien Reichweite. Nur so können sie – wenn sie davon abhängig sind – Werbung verkaufen.
Und wie holt man sich Aufmerksamkeit? Durch Auffallen. Und wie fällt man auf?
Durch Skandalisierung, Emotionalisierung, Polarisierung, Aufregung, Kontrastierung. Provokationen, Tabubrüche.
Nun ist das Aussergewöhnliche und Aufregende jedoch nicht zwangsläufig auch das Relevante. Eine Medienlandschaft, in der Aufmerksamkeit die überlebenswichtige Währung ist, könnte deshalb dramatische Folgen für den Einzelnen und für die demokratische Gesellschaft haben, beispielsweise im Hinblick auf die Meinungsbildung.
Aufmerksamkeitsökonomie der Medien am Beispiel Trump
Welche Macht die Aufmerksamkeitsökonomie der Medien entfalten kann, zeigt sich sehr eindrücklich am Beispiel Trump. Der Ex-Präsident profitiert stark von diesem Phänomen. Er bekam schon 2016 massiv mehr mediale Aufmerksamkeit als alle anderen Präsidentschaftskandidaten. Das wiederholt sich nun, obwohl die Medienhäuser Besserung versprachen.
Bei der Gerichtsanhörung in Manhattan anfangs April 2023 versuchten Hunderte von Kameraleuten und Hobbyfotografen eingeklemmt zwischen Trump-Fans, Trump-Hassern und Schaulustigen ein Bild des Angeklagten zu erhaschen. Obwohl es eigentlich gar nichts zu sehen gab. Donald Trump profitiert von dieser übermässigen Aufmerksamkeit und er bewirtschaftet sie gekonnt. Doch nicht über Trump zu berichten ist für US-Medien betriebswirtschaftlich und journalistisch keine Option.
Isabelle Jacobi schreibt dazu im Tages-Anzeiger:
«Die Frage bleibt, warum es möglich ist, dass Trump die Aufmerksamkeitsökonomie erneut kapert. Deren Lehre besagt, dass Aufmerksamkeit eine knappe Ressource ist und deswegen hartes politisches Kapital bedeutet. Trump ist ein Profi – er kennt als früherer Reality-TV-Star das Mediengeschäft von innen. Wobei inzwischen ja allen grösseren Medienplayern klar ist, wie manipulativ Trump ist und wohin das politisch führt. Sogar der konservative Rupert Murdoch wandte sich nach dem 6. Januar von Trump ab. Doch das ändert nichts daran, dass Trump für die News-Networks eine wundersame Geldmaschine bleibt. Seit dessen Abwahl dümpeln die Reichweiten von CNN und Fox News dahin.»
Rund um die Berichtserstattung zur Gerichtsanhörung schnellten die Reichweiten prompt in die Höhe.
Medien im Paradox gefangen
Isabelle Jacobi zieht einen pessimistischen Schluss:
«Es existiert nun mal keine Handbremse in der liberalisierten und hoch polarisierten US-Medienwelt, die sich ziehen lassen würde, um die Launen der Aufmerksamkeitsökonomie zu regulieren. Trump wird erst aus den Schlagzeilen verschwinden, wenn er politisch irrelevant geworden ist und das Publikum gelangweilt wegschaut. So lange bleiben die US-Medien im Paradox gefangen, zu tun, was sie selber für «jenseitig» halten: das Interesse an Trump weiter zu bewirtschaften.»
Quelle:
Trump kapert die Aufmerksamkeitsökonomie (Tages-Anzeiger, Abo)
Was folgt daraus?
Eine rasche Lösung für die Probleme der Medien mit der Aufmerksamkeitsökonomie ist nicht in Sicht.
☛ Für Demokratinnen und Demokraten ist es wichtig, dieses Phänomen gut verstehen. Informativ und eindringlich beschrieben wurde es von Matthias Zehnder in seinem Buch «Die Aufmerksamkeitsfalle». Eine Zusammenfassung dieses Buches von mit gibt’s hier:
Wie Medien via Aufmerksamkeitsfalle den Populismus fördern
☛ Qualitätsmedien haben es seit einiger Zeit schwer, ein ökonomisch tragfähiges Geschäftsmodell zu finden. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Plattformen wie Facebook und Google in sehr grossem Stil Werbegelder abziehen.
Deshalb gilt es, Medien zu unterstützen, die nicht übermässig von Klicks abhängig sind. In der Schweiz ist das digitale Magazin «Republik» ein interessantes Medienprodukt, das hauptsächlich durch Abonnentinnen und Abonnenten finanziert wird. Es braucht aber auch starke öffentlich-rechtliche Medien, um ein fundiertes, professionelles Informationsangebot zu garantieren, das für Demokratien unverzichtbar ist.