Der Faschismusforscher Anton Shekhovtsov hat sich in einem Interview mit der «Frankfurter Rundschau» zur «Ukrainophobie» in Russland geäussert. Dabei bringt er das Phänomen so auf den Punkt:
«Die einfachste Definition von Ukrainophobie ist, dass man der ukrainischen Nation das Recht abspricht, als von den Russen getrennte Nation zu existieren – dies hat seine Wurzeln im Russischen Reich. Dort konnte man sich nicht vorstellen, dass die ukrainische ethnische Gemeinschaft als politische Nation behandelt werden könnte, sondern sie wurde entweder als eine vernachlässigbare Gruppe ungebildeter Menschen oder einfach als Teil der größeren russischen Nation betrachtet. Das heutige Moskau verweigert der Ukraine ihre Souveränität und das Recht, als unabhängige Nation zu existieren. Ukrainophobie ist tief in der russischen politischen Kultur verwurzelt.»
Glaubt man Putins Erzählungen, existiert die Ukraine gar nicht.
Aus der Sicht des russischen Regimes sei die Ukraine ein Verräter, der eliminiert werden müsse, erklärt Anton Shekhovtsov.
Quelle:
Putins Grund für den Ukraine-Krieg: „Es gibt nur einen Weg, mit Verrätern umzugehen“(Frankfurter Rundschau)
Ein Verräter ist die Ukraine für Putin nur schon, weil sie auf ihrer Existenz als unabhängiger Staat beharrt. Sie verrät damit die Einheit der Russen und Ukrainer. Wie man von der Einheit der Russen und Ukrainer schwadronieren kann, und gleichzeitig die Ukrainer derart abwertend darstellt, bleibt dabei allerdings rätselhaft.
Zum Begriff Ukrainophobie
Der Begriff Ukrainophobie ist nicht gebräuchlich und man kann ihn durchaus sprachlich fragwürdig finden.
Der Ausdruck «Ukrainophobie» nutzt eine aus der Psychologie stammende Definition irrationaler Angstzustände. Als Phobie oder phobische Störung gilt demnach eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Gegenständen, Tätigkeiten, Tieren oder Menschen wie beispielsweise die Angst vor Spinnen (Arachnophobie) oder die Angst vor engen Räumen (Klaustrophobie). Als Auslöser einer Phobie wirkt also etwas, das für sich genommen neutral und ungefährlich ist, bei den betroffenen Menschen aber Angst oder gar Panikattacken zur Folge haben kann. Die Psychologie beschreibt solche Phänomene darum als Krankheitsbild.
Es ist aber wohl nicht sinnvoll, die Feindseligkeit des Kreml-Regimes gegenüber der Ukraine psychologisch zu pathologisieren. Das Regime braucht und bewirtschaftet Feindbilder zu seiner Stabilisierung im Innern. Es ist keine Folge von Angst, wenn Russland in den okkupierten Gebieten die ukrainische Kultur eliminiert und zehntausende von ukrainischen Kindern nach Russland entführt, zur Adoption freigibt und «russifiziert». Es ist viel eher eine genozidale Haltung.
Sprachlich genauso fragwürdig wie Ukrainophobie sind ideologische Kampfbegriffe wie Islamophobie und Transphobie.
Siehe auch:
Doku zur Indoktrination von Kindern in Russland
Herta Müller bringt Wladimir Putin auf den Punkt
Putinismus – Ideologie und Verschwörungstheorien