Die Begriffe Laizismus / Laizität leiten sich ab vom griechischen Wort laïkós (= „zum Volk gehörig“; „Laie“). Gemeint sind damit die zum Volk gehörendenden, die einfachen Menschen. Über das Lateinische „laicus“ als Gegensatz zum „clericus“, dem Geistlichen, wandelte sich die Bedeutung während dem Mittelalter vom Nicht-Geistlichen zum „Ungebildeten“. Im deutschen Sprachgebrauch hielt sich diese Bedeutung im Wort „Laie“ in Abgrenzung zu beruflicher Professionalität. In den romanischen Sprachen jedoch verschwand diese Bedeutung wieder. Aus dem altfranzösischen „lai“ entstand später „Laïcité“, dem Laizismus oder auch der Laizität.
Der Begriff «Laizismus» wurde im 19. Jh. in Frankreich als Gegenbegriff zu Klerikalismus gebildet. Der französische Laizismus (laïcisme) bezeichnete ein Programm der aktiven Zurückdrängung der Kirche aus dem staatlichen und gesellschaftlichen Leben, vor allem aus dem öffentlichen Bildungssystem, das sich schlussendlich im Jahr 1905 im „Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche“ niederschlug. Religion wurde damit zur reinen Privatangelegenheit erklärt, religiöse Gemeinschaften (Religionsgemeinschaften), auf den Status zivilrechtlicher Vereine (associations cultuelles) zurückgestuft und die staatliche Förderung von religiösen Aktivitäten verboten.
Laizismus drängt Religion ins Private
Laizismus zielt also auf weitmögliche Abdrängung der religiösen Sphäre ins Private und bedeutet die Trennung des gesamten öffentlichen Lebens (Staat, Gesellschaft, Recht, Kultur) von Kirche und Religion.
Zu vergleichbaren, aber weniger weitreichenden Prozessen der Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses in Staat, Gesellschaft und Schule kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert auch in anderen Ländern, etwa Italien und Deutschland (Kulturkampf). Somit war der Laizismus eine radikale Spielart im gesamteuropäischen Prozess der zunehmenden Differenzierung von Religion und Politik im 19. Jahrhundert.
Von der katholischen Kirche wurde der Begriff Laizität als negativer Kampfbegriff aufgenommen und aufs Schärfste verurteilt. Er wurde zum Beispiel von Papst Pius XI als «Pest unserer Zeit» verdammt und ihm wurde vorgeworfen, «das ganze menschliche Leben nach rein diesseitigen, von der geoffenbarten Religion unabhängigen Gesetzen zu regeln“ (Bischof Clemens August Graf von Galen 1932).
Historisch betrachtet war der Laizismus aber nicht grundsätzlich antireligiös, sondern antiklerikal. Er wandte sich gegen die Machtausbreitung und den Herrschaftsanspruch der Kirche und sperrte sich gegen ihre staatliche Förderung.
Vom Laizismus zur Laizität
Nach dem Ersten Weltkrieg entspannte sich das Verhältnis zwischen Staat und (katholischer) Kirche in Frankreich, wobei am Prinzip der grundsätzlichen Trennung zwischen beiden Sphären aber weiterhin festgehalten wurde. Der radikale Laizismus schwächte sich allerdings mehr und mehr ab zum Modell einer „positiven Laizität“ (laïcité positive, Nicolas Sarkozy). Dieses betont zwar das staatliche Neutralitätsgebot, anerkennt jedoch ansonsten die Religionsfreiheit und behindert die private Religionsausübung nicht. In diesem Sinne ist der Grundsatz der Laizität seit 1946 in der französischen Verfassung festgelegt, wobei bis in die Gegenwart hinein immer wieder gesellschaftliche Kontroversen darüber ausgetragen werden, inwiefern religiöse Symbole (vor allem die muslimische Kopfbedeckung) in öffentlichen Einrichtungen, die dem Prinzip der Laizität unterworfen sind, sichtbar sein dürfen.
Staat und Religion werden im Laizismus strikter getrennt als im Säkularismus.
Laizität für eine multikulturelle Gesellschaft
Die seit vielen Jahren zunehmende religiöse Pluralisierung der Gesellschaft ist ein starkes Argument für eine laizistisch orientierte Religionspolitik. Zwar sind die alten Konflikte um die Staat-Kirchen-Trennung in Bezug auf die christlichen Kirchen heute weitgehend abgeklungen, doch erfährt die Laizität im Hinblick auf die öffentliche Präsenz des Islams in Westeuropa aktuell wieder eine verstärke Bedeutung Wie schon der Laizismus kommt auch die Laizität in vielen verschiedenen Varianten vor. Der Humanistische Verband in Deutschland zum Beispiel lehnt einen rein separatistischen Laizismus ab, wie er beispielsweise in Frankreich praktiziert wird. Er setzt auf eine kooperative Laizität. Die Beobachtung zeige in Ländern, in denen Staat und Religion stärker getrennt sind, dass eine gewisse moderierende Funktion von staatlichen demokratischen Institutionen hilfreich sein könne, beispielsweise in der Fundamentalismus-Prävention. Arik Platzek vom Humanistischen Verband sagt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk:
«Wir kennen die USA mit ihrer sehr großen Vielzahl von teilweise auch stark fundamentalistischen Gruppen, wir haben das ähnlich mit Blick auf die Radikalisierung der Muslime gerade in Frankreich erlebt, wo es ja eben auch einen sehr separatistischen Laizismus gibt, und da ist eigentlich das deutsche Modell ein gutes, sofern es wirklich integrierend und alle Gruppen einschließend wirkt.»
Laizität als Gegenbegriff zu Fundamentalismus
Die Philosophin Cinzia Sciuto beschreibt in ihrem Buch «Die Fallen des Multikulturalismus» die Laizität als Voraussetzung der Demokratie. Sie unterstreicht dabei die Bedeutung der Laizität für eine multikulturelle Gesellschaft und das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen.
Cinzia Sciuto stellt klar, dass Laizität nicht als Gegensatz zu Religiosität aufzufassen sei und «laizistisch» nicht als Gegensatz zu «gläubig»:
«Der Widersacher des Laizisten ist nicht der Gläubige, sondern der Fundamentalist, und die Trennlinie zwischen diesen beiden Fronten ist nicht der Glaube, sondern der Anspruch, dass das bürgerliche Zusammenleben gemäss den Prinzipien des (eignen) Glaubens organisiert sein müsse und dass die Rechte des Einzelnen den Dogmen des (eigenen) Glaubens untergeordnet werden müssten. Anders gesagt, die Zäsur verläuft zwischen denen, die die (eigene) Religion über jedes andere normative System stellen und verlangen, dass sie…als absolutes Recht gelte…und denen, die hingegen innerhalb der Volksgemeinschaft religiöse Normen den Prinzipien der Verfassung und den Regeln unterordnen, die sich eine demokratische Gesellschaft gibt….
Anders gefasst, für den Fundamentalisten ist, ob er gläubig ist oder nicht, die (eigene) Religion die Grundnorm der bürgerlichen Ordnung, während für den Laizisten, ob er gläubig ist oder nicht, die Grundnorm der bürgerlichen Ordnung einen konstitutionellen Pakt darstellt, der die Rechte und Freiheit aller sichert.» Siehe dazu ergänzend: Fundamentalismus als Gefahr für die Demokratie.
Dass es gläubige und ungläubige Laizisten gibt und gläubige sowie ungläubige Fundamentalisten, ist eine interessante und produktive Perspektive auf die Thematik.
Zu unserem Glück gebe es unter Gläubigen (aller Religionen) viele Laizisten, schreibt Sciuto. Im Gegenzug und «zu unserem Leidwesen» wimmle es in der Welt der Nichtgläubigen von Fundamentalisten, «also von Personen, die zwar nicht gläubig sind, aber nichtsdestoweniger die Meinung vertreten, dass das gesellschaftlich Miteinander und das öffentliche Leben in Übereinstimmung mit dem Moral- und Normensystem einer bestimmten kulturellen und religiösen Weltsicht organisiert sein müsse.»
Als Beispiel könnte da die (hier nicht von Sciuto aufgeführte) Identitätspolitik mit ihrem rigiden und religiös aufgeladenen Moralismus erwähnt werden.
Laizität ist kein Feind des Glaubens
Laizität sei keinesfalls der Feind des Glaubens, schreibt Cinzia Sciuto:
«Im Gegenteil, in einer komplexen Gesellschaft ist die Laizität der wertvollste Verbündete des Glaubens, besser der Glaubensrichtungen. Auch die Gläubigen, alle, nicht bloss die Anhänger der grossen Konfessionen, profitieren von einem sozialen Kontext, in dem die Religion Privatsache ist und der Staat allen, nicht bloss den verbreitetsten, mächtigsten, am besten organisierten und reichsten Glaubensrichtungen, die Freiheit zusichert, den eigenen Glauben zu zelebrieren oder auch gar keinem Glauben anzuhängen, und zwar indem der Staat, allgemeiner gesprochen, jedem, ganz gleichgültig ob gläubig, andersgläubig oder nicht gläubig, Grundrechte gewährleistet.»
Laizität ist dadurch eine vorpolitische Notwendigkeit für das zivile Zusammenleben in einer komplexen Gesellschaft und eine Voraussetzung der Demokratie.
Solange in einer Gesellschaft im Wesentlichen nur eine einzige Weltsicht oder Religion herrscht, ist die Vermengung von öffentlicher Sphäre und Religion verkraftbar, ohne dass daraus besondere gesellschaftliche Spannungen entstehen. In dem Masse aber, in dem eine Gesellschaft beginnt, komplex zu werden und Minderheiten zunehmend Fuss fassen und handfeste Minderheiten bilden, werden diese anfangen, eine gleichberechtigte Behandlung gegenüber der Konfession einzufordern, die bisher in einem gegebenen sozialen Kontext die Mehrheit vertrat.
«Angesichts der Vielfalt an Weltsichten, die heute nebeneinanderstehen und miteinander konkurrieren, bleibt einer Gesellschaft, die an einer demokratischen Ordnung festhalten will, keine andere Wahl als eine rigorose Laizität», schreibt Cinzia Sciuto. In diesem Sinne habe der Staat eine enorme Verantwortung und eine nur indifferente Haltung gegenüber den verschiedenen Religionen sei nicht ausreichend.
Bisher habe sich die Laizität eigentlich nur als blosse Trennung von politischer und religiöser Macht manifestiert. Sie sei beherrscht gewesen vom Prinzip «Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Gott geben, was Gottes ist». Das Problem sei als eine reine Frage der Macht betrachtet worden. Um dieses Machtproblem zu lösen, habe eine Trennung der Einflussbereiche ausgereicht. Cinzia Sciuto wirft die Frage jedoch unter ethisch-politischen Gesichtspunkten auf:
«Dem „Kaiser“ genügt es nicht mehr, dass „Gott“ in seinem eigenen Einflussbereich bleibt. Der „Kaiser“ muss auch dafür sorgen, dass „Gott“ nicht gegen die Grundgesetze des demokratischen Staates verstösst.»
Es genüge nicht mehr, dass Staat und Kirche getrennt seien, sondern es sei der Moment gekommen, da der laizistische Staat die Verantwortung übernehmen müsse und genau hinterfrage, was im Inneren religiöser Gemeinschaften passiert, um die Rechte der einzelnen Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
Quellen:
☛ «Die Fallen des Multikulturalismus – Laizität und Menschenrechte in einer vielfältigen Gesellschaft», von Cinzia Sciuto, Rotpunktverlag 2020.
☛ Beitrag zu Laizismus auf «Staatslexikon-online
☛ Beitrag zu Laizismus auf weltanschauungsrecht.de (ifw, Institut für Weltanschauungsrecht)
☛ «Was ist Laizismus?», von Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel)
☛ Beitrag «Laizität statt Laizismus», Gespräch mit Arik Platzek vom Humanistischen Verband (Deutschlandfunk)
Ausserdem:
Vortrag von Cinzia Sciuto zu Laizismus / Laizität:
Die Fallen des Multikulturalismus