Niemand weiß, wohin die künstliche Intelligenz uns führen wird, schreibt der US-amerikanische Investor und Philanthrop George Soros in der «WELT».
Klar sei jedoch, dass sie dazu neige, die Herrschenden noch mächtiger zu machen: «Sie wird Instrumente hervorbringen, die autoritären Staaten bei der Überwachung ihrer Untertanen helfen. Die Zeit, das abzuwenden, läuft bereits ab.»
Soros weist auf den Wirtschaftshistoriker Adam Tooze von der Columbia University hin, der den Zustand der Welt als „Polycrisis“ bezeichnet hat – als Mehrfachkrise.
Eine der zentralen Ursachen dieser Polycrisis sei die künstliche Intelligenz (KI), schreibt Soros. Als Nächstes komme der Klimawandel und auf dem dritten Platz die russische Invasion der Ukraine. Die Liste sei viel länger, aber das seien die drei wichtigsten Faktoren.
Künstliche Intelligenz als Bedrohung für offene Gesellschaften
Künstliche Intelligenz entwickle sich unglaublich schnell, und es sei für die normale menschliche Intelligenz unmöglich, sie völlig zu verstehen. Niemand könne vorhersagen, wohin sie uns führen wird. Für George Soros steht jedoch fest: «Die KI hilft geschlossenen Gesellschaften und stellt eine tödliche Bedrohung für offene Gesellschaften dar. Das liegt daran, dass die KI besonders gut darin ist, Kontrollinstrumente hervorzubringen, die geschlossenen Gesellschaften bei der Überwachung ihrer Untertanen helfen.»
Soros ist sich deshalb mit vielen KI-Entwicklern einig, dass Künstliche Intelligenz reguliert werden muss. Die Regeln müssen jedoch «global durchsetzbar sein, weil der Anreiz, dabei zu betrügen, zu groß ist; wer die Regeln umgeht, erzielt einen unfairen Vorteil.»
Soros weist dabei auf dein zentrales Problem hin:
«Unglücklicherweise sind globale Regeln unerreichbar, weil die Welt von einem Konflikt zwischen zwei einander diametral gegenüberstehenden Regierungssystemen bestimmt wird.
Diese haben verschiedene Ansichten darüber, was reguliert werden muss und warum. Ich bezeichne diese beiden Systeme als offene und geschlossene Gesellschaften. Der Unterschied zwischen beiden ist: In einer offenen Gesellschaft besteht die Rolle des Staates darin, die Freiheit des Individuums zu verteidigen; in einer geschlossenen Gesellschaft ist es Rolle des Individuums, den Interessen der Herrschenden zu dienen.»
Künstliche Intelligenz als Herausforderung für Demokratien
Soros weist darauf hin, dass in den USA – und wohl auch im Vereinigten Königreich – im Jahr 2024 Parlamentswahlen stattfinden, und dass Künstliche Intelligenz dabei zweifellos eine wichtige und nicht ungefährliche Rolle spielen wird: «Die KI ist sehr gut darin, Falschinformationen und „Deep Fakes“ zu produzieren, und es wird viele böswillige Akteure geben. Was können wir dagegen tun? Ich weiß die Antwort nicht, doch ich hoffe, das Thema wird die Aufmerksamkeit erhalten, die es verdient.»
Künstliche Intelligenz erinnere ihn an Goethes Gedicht „Der Zauberlehrling“, schreibt Soros:
«Der Lehrling studiert Zauberei, doch versteht nicht völlig, was sein Meister ihn lehrt. Als der Meister aus dem Haus ist, gibt er dem Besen den magischen Befehl, Wasser vom Fluss zu holen, um ihm ein Bad einzufüllen. Der Besen gehorcht, doch als das Bad voll ist, kann der Zauberlehrling ihn nicht abhalten, immer mehr Wasser herbeizuschleppen, bis das ganze Haus überflutet ist.»
Quelle:
Wie mein Instinkt mich zum KI-Gegner machte (WELT)
Anmerkungen:
☛ George Soros setzt sich seit vielen Jahren für die Stärkung demokratischer Gesellschaften ein. Dadurch wurde er zum Lieblingsfeind von Rechtspopulisten, Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern. Siehe dazu:
Soros, George (*1930 in Budapest), Lieblingsfeind vieler Rechtspopulisten und Rechtsextremen
☛ Wenn Soros von «offener Gesellschaft» und «geschlossener Gesellschaft» spricht, bezieht er sich auf ein Konzept des österreichischen Philosophen Karl Popper (1902 – 1994). Eine Zusammenfassung dieses Konzepts ist hier zu finden:
Offene Gesellschaft oder geschlossene Gesellschaft – wohin geht die Reise?
☛ Jede Demokratie sollte sich hochgradig mit den Gefahren Künstlicher Intelligenz befassen. Neben Regulierungen braucht es dazu auch Bildungsmassnahmen, damit Bürgerinnen und Bürger besser in der Lage sind, Falschinformationen und «Deep Fakes» zu erkennen. Demokratische Staaten hinken hier der raschen Entwicklung dramatisch hinter her.