Im Kontext der Identitätspolitik spielen Triggerwarnungen eine wichtige Rolle. Das Wort «Trigger» (engl. Auslöser) bezeichnet in Medizin und Psychologie einen Vorgang, der eine Empfindung, einen Affekt, eine maschinelle Beatmungsunterstützung, ein Symptom (z. B. Schmerz) oder eine Erkrankung auslösen kann.
Im Kontext der Identitätspolitik wird der Begriff «Trigger» aber ausgeweitet und inflationär gebraucht. «Trigger» sind alle Worte, Handlungen oder Bilder, die Unbehagen auslösen und/oder dem eigenen Weltbild widersprechen. Damit man mit solchen Zumutungen nicht konfrontiert wird, braucht es Triggerwarnungen vor Filmen, Texten etc. Sie sollen vor Traumatisierungen oder Retraumatisierungen schützen.
So findet man dann vor Filmen Warnungen wie diese:
«Die folgende Sendung enthält Darstellungen von Gewalt, Nacktheit, Schimpfwörter, Drogenkonsum».
Nun kann es in extremen Fällen wohl sinnvoll sein, solche Warnungen auszusprechen, zum Beispiel wenn Bilder von Tötungen von Menschen gezeigt werden (wobei sich dann die Frage stellt, ob und warum solche Bilder überhaupt gezeigt werden müssen).
Politisierung eines traumatherapeutischen Konzepts
Identitätspolitische Triggerwarnungen gehen aber viel weiter, indem ein aus Medizin und Psychologie stammendes traumatherapeutisches Konzept politisiert wird. Selbst in historischen Texten werden unerwünschte Worte oder Darstellungen wie «Indianer» als Trigger identifiziert.
Die Psychologin Esther Bockwyt schreibt in ihrem Buch «Woke – Psychologie eines Kulturkampfs»:
«Immer mehr Triggerwarnungen oder neutraler formulierte Content Notes sollen die sensible Psyche an allen Orten schützen, auch an Universitäten. Diese Art der Einengung ist typisch für Wokeness. Zu Beginn gibt es sinn- und massvolle Erneuerungen, wie die Überlegung und Umsetzung, bei gravierend verletzenden Inhalten, bei denen es um schwere Gewalt oder sexuellen Missbrauch geht, die Rezipienten vorab zu warnen. Am Ende kündigen Triggerwarnungen jetzt nicht mehr nur potenziell retraumatisierende Inhalte, sondern auch solche an, die auf einige Menschen anstössig oder verstörend wirken könnten, als sei Letzteres per se eine problematische Wirkung. Auf Twitter sind inzwischen Triggerwarnungen mit Inhalten wie “Umzug”, “schwanger“, “Gewicht“, “Depression“, “Zyklus“, “Körperwahrnehmung“, “Gewichtsverlust“, “Essen“, “furchtbare Musik“ oder “Menstruation“ im woken Sinn üblich.
Dabei verfehlen die Triggerwarnungen häufig ihr Ziel und wirken durch Erwartungsangst eher wie sich selbsterfüllende Prophezeiungen. Es passiert also genau das, was vermieden werden sollte: Unangenehme Gefühle kommen auf. Studien deuten darauf hin, dass durch Triggerwarnungen ein Trauma möglicherweise als wichtiger Bestandteil der Identität wahrgenommen wird. Das wäre erklärbar dadurch, dass das Trauma in der Bewusstheit immer präsenter wird und bleibt. Das Trauma gehört dann zur eigenen Persönlichkeit und deswegen hält man es unbewusst fest und wird es nicht mehr los. Triggerwarnungen an sich mögen dies nicht bewirken können, doch gerade die erhöhte woke Aufmerksamkeit auf die Problembereiche, lässt die eigene Opferperspektive ins Zentrum der eigenen Identität geraten.» (Seite 122)
Wirksamkeit von Triggerwarnungen wissenschaftlich nicht belegt
Der Psychologe Varnan Chandreswaran hat sich mit der Studienlage zum Thema «Triggerwarnungen» befasst und schreibt dazu in seinem Buch «Gefangen in der Opferrolle – Warum Wokeness scheitert»:
«Laut einer aktuellen Meta-Analyse sind Triggerwarnungen bestenfalls wirkungslos – und können in manchen Fällen sogar schädlich sein. Sie können Angstreaktionen vorab verstärken, ohne jedoch den Umgang mit dem sensiblen Material selbst zu verbessern. Einige Menschen könnten sich dadurch sogar eher herausgefordert fühlen, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, während andere sie meiden.
Allerdings ist Vermeidung kein Mittel zur Therapie von Traumata, sondern ein Symptom. Menschen, die das Gefühl haben, Triggerwarnungen zu brauchen, benötigen möglicherweise eher eine Therapie.
Es mag hart klingen, aber in der Therapie ist es üblich, sich den Ängsten zu stellen und die eigenen Annahmen zu hinterfragen. Wer alltäglichen Situationen ständig ausweicht, muss lernen, dieses Vermeidungsverhalten durch Konfrontation abzubauen.»
Quellen:
«Woke – Psychologie eines Kulturkampfs», von Esther Bockwyt, Westend Verlag 2024.
«Gefangen in der Opferrolle – Warum Wokeness scheitert», von Varnan Chandreswaran, Eulogia Verlag 2024. Siehe dazu: Buchbesprechung und Zitate.
Beitrag zu «Trigger» auf Wikipedia
Anmerkungen:
☛ Dass Triggerwarnungen in der Identitätspolitik für derart existenziell betrachtet werden, hat mit einer Überschätzung der Macht von Sprache zu tun. Selbst relativ harmlose Worte können in dieser Vorstellungswelt gravierende Traumas auslösen. Komplett ignoriert wird dabei, dass diese Konzepte ohne wissenschaftliche Basis sind.
☛ Zu einer gesunden Entwicklung gehört die Konfrontation mit Widrigkeiten und anderen Meinungen. Wer diesen Herausforderungen konstant aus dem Weg geht, verpasst Reifungsprozesse und wird nur begrenzt gesellschaftsfähig. Am Ende ist man auf «safe spaces» angewiesen – ein weiteres Lieblingsthema der Identitätspolitik – und bleibt wann immer möglich unter Gleichgesinnten, von denen keine weltanschaulichen Zumutungen ausgehen. Schwer vorstellbar, wie mit solchen Leuten Demokratie gestaltbar ist. Die Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Ansichten ist dabei unumgänglich.
☛ Auf der persönlichen Ebene werden solche Ansprüche auf ein in Watte gepacktes Leben wohl oft scheitern, spätestens beim Abgang von der Universität.
Hier gibt’s ein sehenswertes YouTube-Video mit einem Vortrag von Timur Sevincer zur Forschung betreffend «Triggerwarnungen»: