Recep Tayyip Erdoğan treibt den Umbau der Türkei fort. An Schulen soll künftig ein Lehrplan gelten, der Kinder zu „nationalbewussten, gläubigen Patrioten“ heranziehen soll.
Dazu passend werden neue Lehrinhalte eingefügt, andere dagegen gekürzt oder ganz weggelassen. Religiöse Unterrichtung, die Geschichte des Türkentums und des Islam sowie die Worte des Propheten werden laut den Vorgaben aus dem Bildungsministerium einen größeren Umfang als naturwissenschaftliche Fächer bekommen.
Die Geschichte der kemalistisch geprägten Republik hat das Ministerium dagegen zusammengestutzt. Ihr Gründer Mustafa Kemal Atatürk soll kaum noch vorkommen. Die neuen Lehrinhalte stellen die Evolutionslehre als Irrlehre dar, sofern sie in der Türkei künftig überhaupt noch unterrichtet wird. Dagegen wird die göttliche Schöpfung unterrichtet.
Um den Schülerinnen und Schülern den neuen Lehrplan schmackhaft zu machen, sollen die Anforderungen in Mathematik reduziert und der Prüfungsdruck insgesamt vermindert werden.
Erdoğan kämpft schon lange um die Köpfe der Kinder in der Türkei
Der damalige Ministerpräsident Erdoğan hatte schon vor 15 Jahren postuliert, unter seiner Regierung werde eine neue gläubige Generation heranwachsen.
Da dies nach Ansicht der regierenden AKP bisher nicht gelungen ist, will die Partei nun noch einmal nachlegen.
Bis in die nuller Jahre war das Bildungssystem in der Türkei an säkularen europäischen Vorbildern orientiert. Die staatlichen Schulen waren damals noch von republikanischen Lehrkräften dominiert. Die AKP wertete daher parallel religiöse Schulen auf.
So wurden die sogenannten Imam-Hatip-Schulen, ursprünglich Berufsschulen für Prediger, zu Vollschulen aufgewertet. Ihre Absolventinnen und Absolventen bekamen eine allgemeine Zugangsberechtigung zur Universität.
Die AKP steckte grosse Geldsummen in die Imam-Hatip-Schulen, an denen der Unterricht geschlechtergetrennt stattfindet und die religiöse Erziehung viel Raum einnimmt. Der Andrang blieb jedoch kleiner als erwartet. Die meisten Eltern schickten ihre Kinder lieber auf einer normalen staatlichen Schule.
Daher soll nun das gesamte staatliche Bildungssystem der Türkei reformiert und nach den religiösen und ideologischen Vorstellungen der AKP umgewandelt werden.
Erdoğan schuf dafür im Jahr 2016 eine Voraussetzung, als er AKP-kritische Lehrerinnen und Lehrer im Zuge des erklärten Notstands nach dem Putschversuch 2016 suspendierte. Heute werden Anwärterinnen und Anwärter aufs Lehramt nicht nur auf ihre fachliche, sondern ebenso auf ihre politische „Eignung“ überprüft.
Starke Kritik an Erdoğans Schulplänen kommt vom säkularen Teil der Gesellschaft. Kemal Irmak, der Vorsitzende der linken Lehrergewerkschaft Eğetim-Sen, schrieb in einem Rundbrief an die Gewerkschaftsmitglieder:
„Das Türkische-Jahrhundert-Bildungsmodell (…) ist nichts anderes als die Rückkehr zur Kirchen- und Koranschulen-Erziehung des letzten Jahrhunderts.“
Mit dem von religiösen Stiftungen und Verbänden erstellten Programmen entferne sich das Bildungssystem der Türkei rasch von den grundlegendsten wissenschaftlichen Grundsätzen und einem säkularen Bildungsverständnis, schrieb Irmak weiter.
Quelle:
Umbau der Schulen in der Türkei: Mohammed statt Atatürk (TAZ)
Anmerkungen:
☛ Das sind schlechte Nachrichten für die schon sehr angeschlagene Demokratie in der Türkei. Das Vorgehen ist typisch für den politischen Islam, der nach und nach immer mehr staatliche Institutionen übernimmt. Die Ideologie und Strategie des politischen Islam haben Heiko Heinisch und Nina Scholz beschrieben in ihrem sehr lesenswerten Buch «Alles für Allah».
☛ Zum Thema Islamismus / Politischer Islam siehe auch:
Islamismus als antidemokratische Ideologie
☛ Der TAZ-Beitrag zeigt auch eindrücklich, wie stark der Säkularismus in der Türkei unter Druck ist. Säkularismus und Laizität sind wichtig für Demokratien und deshalb zu verteidigen. Siehe dazu: