«Eine Soziologie der Identitätspolitik» lautet der Untertitel dieses lesenswerten Buches von Marlene Müller-Brandeck. Die Autorin ist Soziologin und arbeitet als wissenschaftliche Koordinatorin der Interdisziplinären Arbeitsgruppe »Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf technische Langfristprojekte« an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Wer mit soziologischen Begriffen und Konzepten nicht vertraut ist, wird nicht alles verstehen, was in diesem Buch beschrieben ist – oder jedenfalls nicht auf Anhieb. Es hat jedoch ausreichend Passsagen, in denen die Kerngedanken der Autorin erkennbar sind. Es lohnt sich deshalb, „dran zu bleiben“.
Der Verlag schreibt zum Buch von Marlene Müller-Brandeck:
«Identitätspolitik gehört zu den meistdiskutierten Themen der Gegenwart. Marlene Müller-Brandeck bietet eine gesellschaftstheoretische Analyse des Phänomens und beschreibt die Ungleichheitskonstruktion, die Identitätspolitik zugrunde liegt. Im historischen Vergleich mit der Arbeiter- und Frauenbewegung des vergangenen Jahrhunderts zeigt sie auf, wie sich Vorstellungen von sozialer Ungleichheit und Identität in Gesellschaft gewandelt haben und wie sich diese Veränderungen in Kämpfen für gleiche Rechte, Teilhabe und Anerkennung niederschlagen. Identitätspolitik versteht Identität als Produkt von Privilegien und Diskriminierungen in unterschiedlichen Dimensionen. Monokausale Erklärungen für soziale Ungleichheit verlieren so an Plausibilität. Die Autorin beobachtet in der identitätspolitischen Semantik eine neue Wertorientierung – die Sakralisierung der Identität -, die den Schutz vor Identitätsverletzungen und die Rücksicht auf die Selbstwahrnehmung anderer zum höchsten Gut erklärt.»
Angaben zum Buch:
«Die Sakralisierung der Identität – eine Soziologie der Identitätspolitik», von Marlene Müller-Brandeck, Campus Verlag 2025
Wer das Phänomen Identitätspolitik besser verstehen will, findet in diesem Buch von Marlene Müller-Brandeck wertvolle Hinweise.
Dass «Identität» zu einem sakralisierten Begriff geworden ist, dafür bietet die Autorin gute Beschreibungen.
Was ist Sakralisierung?
«Sakralisierung» leitet sich ab von „sakral“, (lat. sacer, „heilig“). Es handelt sich um einen symbolischen Zuschreibungsprozess, durch den beispielsweise bestimmte Person, Dinge, Kollektive, aber auch die Natur als Ganzes normativ überhöht und als unverfügbare, durch nichts infrage zu stellende, dem menschlichen Handeln entzogene Instanz kommuniziert werden.
Diesen physischen oder nicht-physischen Dingen wird durch einen solchen heiligenden Zuschreibungsakt wie bei einer Heiligsprechung ein religiöser Sinn oder Zweck zugewiesen und in der Folge wird ihre intensive affektive Verehrung normativ verlangt.
Ein derartiger heiligender Akt – beziehungsweise seine Wiederholung – hat meist die Form einer Inszenierung – beziehungsweise eines (teils verschriftlichten) Rituals; es handelt sich um einen oder eine Folge von performativen Akten.
In der neuesten Zeit wurde die Bedeutung des Begriffs «Sakralisierung» metaphorisch ausgeweitet; er wird gegenwärtig auch für eine übertriebene, der Sache nicht angemessene Verehrung ursprünglich nichtreligiöser Phänomene und Instanzen gebraucht.
Quelle zum Stichwort Sakralisierung: Wikipedia
Die Sakralisierung der Identität zeigt sich besonders deutlich im Transaktivismus. Mehrere Länder haben inzwischen das sogenannte Deadnaming mit empfindlichen Strafen belegt. Spricht jemand zum Beispiel eine «Transfrau» mit ihrem früheren männlichen Namen an, droht eine Geldstrafe oder Gefängnis. Hier wird die neue, selbst zugeschriebene Identität unter absoluten rechtlichen Schutz gestellt – und die biologische Realität negiert (denn «Transfrauen» sind biologisch Männer).
Wenn diese sakralisierte, heiliggesprochene, selbstzugelegte Identität derart gegen die biologische Realität abgeschirmt wird, erinnert das nicht zufällig an Gotteslästerungsparagrafen. Marlene Müller-Brandeck legt in Ihrem Buch einen hochgradig interessanten Aspekt der Identitätspolitik auf den Tisch. Leseempfehlung!
Beiträge zum Thema Identitätspolitik:
Identitätspolitik als Gift für die Demokratie
Identitätspolitik unterminiert Wissenschaft