Identitätspolitik (IP) gibt es von rechts, von links und aus einem islamistischen Hintergrund. Alle drei Varianten sind hoch problematisch. In diesem Beitrag geht es vor allem um die Gefahren linker Identitätspolitik.
Linke Identitätspolitik spaltet die Gesellschaft in eine böse, rassistische, sexistische, heteronormative Mehrheitsgesellschaft einerseits – und diverse gute, diskriminierte Minderheiten mit Opferstatus andererseits.
Die Mehrheitsgesellschaft wiederum wird unterteilt in jene Menschen, die einsichtig sind bezüglich ihres «white privilege», dafür Busse tun und sich entschuldigen – und jene, die uneinsichtig sind.
Die Minderheiten werden unterteilt in verschiedene Opferkategorien, die je nach dem Mass ihrer Unterdrückung in der Opferhierarchie höher oder tiefer stehen.
Solche identitätspolitischen Spaltungen begünstigen ein problematisches «Stammesdenken» (Tribalismus). Dadurch wirkt sich Identitätspolitik schädlich aus für das gedeihliche Funktionieren einer Demokratie.
Sie tritt mit der positiven Absicht an, die Diskriminierung von Minderheiten zu überwinden. So zeigt sie sich in der Öffentlichkeit zum Beispiel mit Themen wie Antirassismus oder Transgender-Aktivismus. Auf den ersten Blick sind das Anliegen, die kaum jemand ablehnen würde. Das Problem mit der IP liegt denn auch nicht in den Zielen, sondern im Weg, wie diese verfolgt werden. Und die Probleme für Demokratie und Rechtsstaat zeigen sich erst, wenn man genauer hinschaut.
Beispiele für kritische Punkte der Identitätspolitik
☛ Standpunkttheorie
In der Identitätspolitik zeigt sich immer wieder eine problematische Standpunkttheorie. Thomas Zoglauer schreibt dazu in seinem Buch «Konstruierte Wahrheiten – Wahrheit und Wissen im postfaktischen Zeitalter»:
«In der Identitätspolitik spielt die Gruppenzugehörigkeit eine entscheidende Rolle. Nur den Mitgliedern der eigenen sozialen Gruppe wird eine objektive Sicht auf die Wirklichkeit zugetraut. Die Standpunkttheorie vertritt die Auffassung, dass bestimmte soziale Standpunkte und ihre Sichtweisen, vorzugsweise diejenigen einer unterdrückten sozialen Minderheit, epistemisch privilegiert seien…..
Andere Sichtweisen werden als biased oder interessegeleitet zurückgewiesen oder es wird ihnen ein falsches Bewusstsein unterstellt. Der Wahrheitsgehalt einer Aussage hängt demzufolge nicht nur vom Inhalt der Aussage, sondern auch davon ab, wer etwas sagt. Wenn aber die Gruppenzugehörigkeit bestimmt, was wahr und was falsch ist, dann gibt es keine universelle, für alle verbindlichen Wahrheiten mehr, vielmehr wird Wahrheit zu einer Frage der Gruppenloyalität.»
Infolgedessen wir so etwas wie eine weibliche, schwarze oder queere Wahrheit postuliert. Das unterläuft jedes Streben nach wissenschaftlicher Objektivität und macht demokratische Diskurse so gut wie unmöglich. Nicht mehr das beste Argument ist entscheidend, sondern die Rangordnung in der Opferhierarchie, von der jemand spricht.
Wenn identitätspolitisch Theorien bestimmte Standpunkte privilegieren, betreiben sie keine Wissenschaft. Für Wissenschaft ist es grundlegend, dass Argumente bewertet werden unabhängig vom Standpunkt, von dem jemand spricht.
Siehe dazu:
Identitätspolitik und Postfaktualismus greifen Basis der Wissenschaft an
Standpunkttheorie der Identitätspolitik unterminiert Wissenschaft und Demokratie
☛ Freund-Feind-Schemata
Dem pauschalisierten Opferkollektiv stellt die IP ein ebenso pauschalisiertes Täterkollektiv gegenübergestellt, das eindeutig Schuld haben soll an den Ungerechtigkeiten und Demütigungen, welche das Opferkollektiv zu erleiden hat. Damit ist die Basis gelegt für ein identitätspolitisch konstruiertes Opfer-Täter-Narrativ und damit verbundene Freund-Feind-Schemata.
Diese komplizierten und gleichzeitig simplifizierenden Opfer-Täter-Konstrukte fördern gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung.
☛ Identitätspolitik untergräbt den Universalismus
Der Universalismus geht davon aus, dass gewisse Rechte jedem Menschen zeit- und ortsunabhängig zukommen. Damit ist die Überzeugung verbunden, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen fähig sind, zahlreiche gemeinsame Werte zu teilen und sich auf manche Grundsätze zu einigen.
Der Universalismus war und ist eine zentrale Grundlage für demokratische Gesellschaftsmodelle. Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte sind ohne Elemente des Universalismus nicht realisierbar. Der Universalismus kämpft also wie auch die Identitätspolitik gegen Diskriminierungen aller Art. In ihrem Vorgehen und Weg unterscheiden sich IP und Universalismus aber fundamental.
Weshalb es fatal ist, wenn der Universalismus durch IP verdrängt wird, wird hier genauer ausgeführt:
Identitätspolitik versus Universalismus
☛ Identitätspolitische Kämpfe sind geprägt durch ein hohes Mass an Moralisierung
Moralisierende Identitätspolitik verheddert sich weitgehend in Schaukämpfen und symbolischen Aktionen. Für marginalisierte Gruppen, für die sich identitätspolitische Aktivisten einzusetzen behaupten, führt das nur selten zu tatsächlichen Erfolgen.
Siehe dazu:
Siehe ausserdem zum Thema:
Was Identitätspolitik mit Religion verbindet
Identitätspolitik unterminiert Demokratie und Rechtsstaat
Identitätspolitik liegt falsch: Die Biologie kennt zwei Geschlechter, nicht mehr
Identitätspolitik unterminiert Wissenschaft
Fragmentierung durch Identitätspolitik schwächt Demokratien
Identitätspolitik: Was bringen Triggerwarnungen?
Identitätspolitik – die Gemeinsamkeiten mit Verschwörungstheorien
Buchtipps:
«Identitätspolitik» von Bernd Stegemann
„Im Zeitalter der Identität – Der Aufstieg einer gefährlichen Idee„, von Yascha Mounk, Klett-Cotta 2024.