Aus identitätspolitisch geprägten Bereichen der Sozialwissenschaften hört man in letzter Zeit immer wieder Aussagen wie: «Die Biologie geht schon lange von mehr als zwei Geschlechtern aus».
Diese Aussage ist falsch. Es handelt sich bei solchen Aussagen eher um sozialwissenschaftliche Vorstellungen von Biologie. Der wissenschaftliche Konsens in der Biologie geht von zwei Geschlechtern aus., die aber verschieden Ausprägungen haben können.
Das ist nicht nur Wortklauberei. Die Falschaussagen aus sozialwissenschaftlichen Kreisen sind antifaktisch, antiwissenschaftlich und zudem übergriffig gegenüber der Biologie.
Um die Anzahl und Art der Geschlechter wird seit einiger Zeit heftig diskutiert. Dabei wird unterschieden zwischen einem biologischen Geschlecht (engl. sex) und einem sozialen Geschlecht (engl. gender). Gender Studies betrachten Geschlecht nicht ausschliesslich als naturwissenschaftlich zu erklärendes biologisches Phänomen, sondern darüber hinaus als soziokulturell geprägte Erscheinung – dann ist von «gender» die Rede. Das ist auch in Ordnung so und kann wertvolle Erkenntnisse bringen zum Beispiel über Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen in verschiedenen Kulturkreisen und Zeitaltern.
Oft wird aber auch von der sozialwissenschaftlichen Seite her die Unterscheidung von biologischem Geschlecht («sex») und sozialem Geschlecht («gender») abgelehnt. Für die feministische Philosophin Judith Butler – einer Ikone für die Bereiche Queer Theory, Gender Studies und Trans Studies – ist auch das biologische Geschlecht vollständig sozial konstruiert. Für den Transaktivismus hat diese Vorstellung den Vorteil, dass sie eine unbegrenzte Fluidität suggeriert, denn es ist unsere biologische, materielle Grundlage, die uns Begrenzungen vorgibt. Ist auch das biologische Geschlecht sozial konstruiert, lässt es sich fast beliebig verändern.
Dass sich die Gender Studies zuungunsten der Biologie durch diese Vorstellungen auch mehr Terrain, Einfluss, Macht zuschreiben können, dürfte allerdings auch eine Rolle spielen.
Das erklärt wohl auch, weshalb aus den identitätspolitisch geprägten Bereichen der Sozialwissenschaften immer wieder Behauptungen zu hören sind, die Biologie gehe von mehr als zwei Geschlechtern aus. Das stimmt einfach nicht, wenn man sich den Konsens der Biologie anschaut. Identitätspolitik und insbesondere die Gender Studies führen hier auf den Holzweg.
Biologie geht von zwei Geschlechtern aus
Biologisch gesehen gibt es bei Säugetieren und also auch bei Menschen zwei Geschlechter, die sich aber in verschiedenen Ausprägungen zeigen können. Ausserdem kommen in sehr seltenen Fällen Zwischenformen vor.
Biologisch lässt sich diese Zweigeschlechtlichkeit am besten mit dem Gameten-Modell beschreiben und definieren.
Als Männchen gelten demnach Organismen, die sich auf einem Entwicklungsweg befinden, um eine grosse Zahl von kleinen Gameten (Keimzellen) zu produzieren (= Spermien genannt).
Als Weibchen gelten dagegen Organismen, die sich auf einem Entwicklungsweg befinden, um eine kleinere Zahl von grösseren Gameten zu produzieren ( = Eizellen genannt).
Belege & Zitate aus der Biologie
Im Folgenden ein paar Aussagen als Beleg dafür, dass der Konsens in der Biologie von zwei Geschlechtern ausgeht:
☛ Der Biologe Prof. Dr. Rüdiger Krahe von der Humboldt-Universität Berlin sagt, die Zweigeschlechtlichkeit sei unter Evolutionsbiologen vollkommen unstrittig. So werde es auch an der Humboldt-Universität gelehrt. Zitat:
„Der Streit um Zweigeschlechtlichkeit ist so unnötig wie ein Kropf“
Quelle: HU-Biologe: „Der Streit um Zweigeschlechtlichkeit ist so unnötig wie ein Kropf“ (Berliner Zeitung)
☛ Die Biologin und Nobelpreisträgerin Prof. Christiane Nüsslein-Volhard wird im «Emma-Interview» mit der Behauptung des Queer-Beauftragten der Bundesregierung konfrontiert, wonach die Ansicht, es gebe zwei Geschlechter, unwissenschaftlich sei und es viele Geschlechter gebe. Antwort von Christiane Nüsslein-Volhard:
«Das ist unwissenschaftlich! Da hat Herr Lehmann vielleicht den Grundkurs in Biologie verpasst.»
Quelle: VIELE GESCHLECHTER? DAS IST UNFUG! (EMMA)
Im Interview erläutert Christiane Nüsslein-Volhard detaillierter, wie die Zweigeschlechtlichkeit in der Biologie begründet wird.
☛ Jerry Coyne ist emeritierter Professor des Department of Ecology and Evolution an der University of Chicago. Luana S. Maroja ist Evolutionsbiologin und Professorin am Williams College. Sie widersprechen entschieden der Aussage, das Geschlecht des Menschen sei keine binäre Verteilung von Männern und Frauen, sondern ein Spektrum:
«Diese Aussage, eine der häufigsten politischen Verzerrungen der Biologie (z. B. Ainsworth 2018), ist falsch, weil fast jeder Mensch auf der Erde in eine von zwei verschiedenen Kategorien fällt. Ihr biologisches Geschlecht wird einfach dadurch bestimmt, ob Ihr Körper darauf ausgelegt ist, große, unbewegliche Geschlechtszellen (Eizellen, kennzeichnend für Frauen) oder sehr kleine und bewegliche Geschlechtszellen (Spermien, kennzeichnend für Männer) zu produzieren. Sogar bei Pflanzen gibt es diese Zweiteilung, wobei die Pollen die winzigen Spermien produzieren und die Samenanlagen die großen Eier tragen. Der Größenunterschied kann enorm sein: Eine menschliche Eizelle hat beispielsweise das zehnmillionenfache Volumen eines einzelnen Spermiums. Und jede Gamete ist mit einem komplexen Fortpflanzungsapparat verbunden, der sie hervorbringt. Es sind die Träger dieser beiden Fortpflanzungssysteme, die Biologen als „die Geschlechter“ (Sexes) bezeichnen.
Da es weder bei Tieren noch bei Gefäßpflanzen andere Arten von Gameten gibt und wir auch keine Zwischenformen sehen, gibt es kein drittes Geschlecht. Zwar gibt es bei vielen Tier- und Blütenpflanzenarten Zwitter, doch vereinen diese lediglich männliche und weibliche Funktionen (und Gameten) in einem Individuum und stellen kein „drittes Geschlecht“ dar. Außerdem können Entwicklungsprobleme manchmal zu intersexuellen Menschen, einschließlich Zwittern, führen. Entwicklungsvarianten sind sehr selten, sie machen nur etwa einen von 5.600 Menschen (0,018 Prozent) aus und stellen ebenfalls kein „anderes Geschlecht“ dar. (Uns sind nur zwei Fälle von echten menschlichen Zwittern bekannt, die fruchtbar waren, aber ein Individuum war nur als Mann und das andere nur als Frau fruchtbar)…..
Praktisch gesehen ist das Geschlecht also binär – nicht nur beim Menschen, sondern bei allen Tieren und Pflanzen. Und es ist binär, weil die natürliche Selektion die Entwicklung eines Binärs begünstigt hat.»
Quelle: Die ideologische Unterwanderung der Biologie (Richard Dawkins Foundation)
Der Artikel schildert beispielhaft die Unterwanderung der Biologie durch Vorstellungen der Identitätspolitik. Er erschien zuerst in englischer Sprache im Skeptical Inquirer. Zum Originalartikel hier: The Ideological Subversion of Biology
☛ Hier geht’s zu einem sehenswerten Gespräch zwischen der Evolutionsbiologin und Professorin Luana S. Maroja mit Peter Boghossian mit dem Titel «Trans Ideology vs. Biology». Ab Min. 6.40 geht es um «sex» und «gender» und die zwei biologischen Geschlechter:
☛ Hier geht es zu einem Video von Zachary Elliott mit dem Titel «Origins of Two Sexes» (9.29 Min):
Originalartikel in Textform hier.
Hier geht es zu einem Video von Zachary Elliott mit dem Titel «Why Sex Is Binary» (5,30 Min):
Originalartikel in Textform hier.
Die Videos und Texte basieren auf peer-reviewed Quellen aus der Evolutionsbiologie.
☛ Der Evolutionsbiologe Colin Wright widerspricht in seinem Artikel zwei häufig vorgebrachten Argumenten, die für ein «Geschlechtsspektrum» ins Feld geführt werden. Er konstatiert: «Biological sex in humans is a binary system.”
Zitat:
«Both of these arguments—the argument from intersex conditions and the argument from secondary sex organs/characteristics—follow from fundamental misunderstandings about the nature of biological sex, which is connected to the distinct type of gametes (sex cells) that an organism produces. As a broad concept, males are the sex that produce small gametes (sperm) and females produce large gametes (ova). There are no intermediate gametes, which is why there is no spectrum of sex. Biological sex in humans is a binary system.”
Quelle: «Sex Is Not a Spectrum» (Reality’s last stand)
☛ «Biological sex is binary, even though there is a rainbow of sex roles – Denying biological sex is anthropocentric and promotes species chauvinism» – so lautet der Titel eines fundierten Beitrags in der Fachzeitschrift BioEssays (peer-reviewed).
Zusammenfassung:
«Biomedical and social scientists are increasingly calling the biological sex into question, arguing that sex is a graded spectrum rather than a binary trait. Leading science journals have been adopting this relativist view, thereby opposing fundamental biological facts. While we fully endorse efforts to create a more inclusive environment for gender-diverse people, this does not require denying biological sex. On the contrary, the rejection of biological sex seems to be based on a lack of knowledge about evolution and it champions species chauvinism, inasmuch as it imposes human identity notions on millions of other species. We argue that the biological definition of the sexes remains central to recognising the diversity of life. Humans with their unique combination of biological sex and gender are different from non-human animals and plants in this respect. Denying the concept of biological sex, for whatever cause, ultimately erodes scientific progress and may open the flood gates to “alternative truths.”»
Übersetzt mit DEEPL:
«Biomediziner und Sozialwissenschaftler stellen das biologische Geschlecht zunehmend in Frage und argumentieren, dass es sich bei Geschlecht um ein abgestuftes Spektrum und nicht um ein binäres Merkmal handelt. Führende wissenschaftliche Zeitschriften haben sich diese relativistische Sichtweise zu eigen gemacht und stellen sich damit gegen grundlegende biologische Fakten. Auch wenn wir die Bemühungen zur Schaffung eines integrativeren Umfelds für geschlechtsspezifisch unterschiedliche Menschen voll und ganz unterstützen, bedeutet dies nicht, dass das biologische Geschlecht geleugnet werden muss. Im Gegenteil, die Ablehnung des biologischen Geschlechts scheint auf mangelndem Wissen über die Evolution zu beruhen und ist ein Vorreiter für den Chauvinismus der Spezies, da sie Millionen anderer Arten menschliche Identitätsvorstellungen aufzwingt. Wir argumentieren, dass die biologische Definition der Geschlechter nach wie vor von zentraler Bedeutung für die Anerkennung der Vielfalt des Lebens ist. Der Mensch mit seiner einzigartigen Kombination aus biologischem Geschlecht und Gender unterscheidet sich in dieser Hinsicht von nichtmenschlichen Tieren und Pflanzen. Die Leugnung des Konzepts des biologischen Geschlechts, aus welchen Gründen auch immer, untergräbt letztlich den wissenschaftlichen Fortschritt und kann „alternativen Wahrheiten“ Tür und Tor öffnen.»
Quelle:
«Biological sex is binary, even though there is a rainbow of sex roles», von Wolfgang Goymann, Henrik Brumm, Peter M. Kappeler, BioEssays, Volume 45, Issue 2
February 2023, https://doi.org/10.1002/bies.202200173
☛ Sehenswertes Gespräch mit der Biologin Marie-Luise Vollbrecht zum Thema:
Ideologie statt Biologie im #OERR – Wie viele Geschlechter gibt es?
☛ Vortrag der Biologin Marie-Louise Vollbrecht zum Thema: Zur Unterscheidung von Sex, Intersex und Gender.
Die biologischen Grundlagen fundiert und verständlich erklärt in 32.01 Minuten:
Schlechte Argumente:
Der wissenschaftliche Konsens in der Biologie geht also von zwei Geschlechtern aus, auch wenn identitätspolitisch aufgeladene Gemüter anderes behaupten. Oft fehlen bei solchen Behauptungen jegliche Argumente und Begründungen.
Im Transaktivismus wird als Beleg für die Behauptung, die Biologie gehe von mehr als zwei Geschlechtern aus, aber manchmal ein Artikel von Claire Ainsworth in «Nature» aufgeführt (Sex redefined. Nature 518, S.288-291, 19.02.2015).
Ainsworth wurde allerdings auf Twitter mehrmals gefragt, ob aus ihrem Text geschlossen werden könne, dass es in der Biologie mehr als zwei Geschlechter gebe. Sie hat das klar verneint.
Darüber hinaus hat Jan Böhmermann in einer Hasssendung sondergleichen im ZDF Magazin Royale vom 2. Dezember 2022 die Behauptung aufgestellt, dass die Biologie von mehr als zwei Geschlechtern ausgeht – und alle rüde beschimpft, die das nicht so sehen. Böhmermann hat zwar mit seiner Sendung viel Reichweite, beschränkt sich aber in der Ausgabe vom 2. Dezember auf Diffamierung.
Zum Artikel von Claire Ainsworth und zur Hasssendung von Jan Böhmermann gibt es hier eine kritische Analyse:
«Öffentlich-rechtliche Hetze gegen die Wissenschaft», von Udo Kelter (Netzwerk Wissenschaftsfreiheit).
Den Fachartikel von Ainsworth und die Tiraden von Böhmermann nimmt auch der Youtuber BiasedSkeptic unter die Lupe. Er schreibt zu seinem Video:
«Gibt es mehr als zwei biologische Geschlechter? Die korrekte Antwort lautet: Nein. Aber das ist gar nicht das Problem, sondern unsere Debattenkultur. Jan Böhmermann argumentiert auf unterstem Strohmann-Niveau, schadet der Transcommunity und stärkt die AFD. In diesem Video erfährst du, wie man es besser macht!»
Was sagt das Lexikon?
Das Wissenschaftsmagazin Spektrum schreibt im „Lexikon der Biologie“ zum Stichwort „Geschlecht“:
„Geschlecht, Sexus, die entgegengesetzte Ausprägung der Gameten und der sie erzeugenden elterlichen Individuen (Geschlechtsmerkmale, Sexualdimorphismus). Bei unterschiedlicher Gestalt der Gameten (Anisogamie bzw. Oogamie; Befruchtung [Abb.]) werden die Mikrogameten bzw. Spermien als männlich, die Makrogameten (Megagameten) bzw. Eizellen als weiblich bezeichnet, entsprechend auch die sie erzeugenden Individuen. Auch wenn die Gameten gleiche Gestalt haben (Isogamie), gibt es in physiologischer Hinsicht stets nur 2 Sorten (Gesetz der allgemein bipolaren Zweigeschlechtlichkeit, Sexualität). Dann wird der „aktivere“ Gamet (z.B. bei Sonnentierchen derjenige, der die Pseudopodien ausbildet) und auch der Wanderkern bei der Ciliaten-Konjugation als männlich bezeichnet. Gibt es nicht einmal solche Unterschiede, werden die Geschlechter willkürlich mit + und – bezeichnet. Hermaphroditen (Zwitter) erzeugen beide Gametensorten gleichzeitig oder nacheinander….“
Quelle: Lexikon der Biologie (spektrum.de, letzer Zugriff 9/2023)
Fazit:
☛ Die Übergriffigkeit von identitätspolitisch aufgeladenen Strömungen in den Sozialwissenschaften gegenüber der Biologie ist eine Form von Wissenschaftsfeindlichkeit. Sie schadet zudem durch Polarisierung und antifaktischem Gebaren der Demokratie.
Siehe auch: Was ist Identitätspolitik?
☛ Bemerkenswert und problematisch ist, dass es zwischen Identitätspolitik und Religion eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten gibt. Das erklärt vielleicht den Furor, mit dem Aktivistinnen und Aktivisten dieser Szene oft vorgehen.
Siehe dazu: Was Identitätspolitik mit Religion verbindet
☛ Darüber hinaus gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Identitätspolitik und Verschwörungstheorien:
Siehe: Identitätspolitik – die Gemeinsamkeiten mit Verschwörungstheorien