Die «SONNTAGSZEITUNG» hat ein Interview publiziert mit dem Historiker Oliver Zimmer zu den Ursachen des Rechtsrutschs in vielen Ländern und zur Aushöhlung der Demokratie. Im Gespräch geht es auch darum, dass die Demokratie ein Risiko ist:
„Wir dürfen nie vergessen: Demokratie ist immer ein Risiko. Will man das Risiko ganz ausschalten, hat man keine Demokratie mehr, sondern eine Diktatur oder zumindest einen Überwachungsstaat. Eine freiheitliche, pluralistische Demokratie muss auch radikale Einstellungen aushalten – das birgt zwar ein Risiko, aber ohne Risiko gibt es keine Freiheit.“
Quelle:
«Es gibt gute Gründe, weshalb sich die Wähler von den etablierten Parteien abwenden» (SONNTAGSZEITUNG, Abo)
Dieser Satz spricht ein entscheidendes Thema an: die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit in einer Demokratie. In einer pluralistischen Gesellschaft müssen unterschiedliche Meinungen und Einstellungen toleriert werden, auch wenn sie radikal sind. Dieses Spannungsfeld ist zentral für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft, da eine zu starke Einschränkung von Meinungsfreiheit und politischen Ansichten letztendlich zu autoritären Strukturen führen kann.
Popper’s Toleranzparadoxon und das Risiko der Demokratie
Mit dem Spannungsfeld zwischen Einschränkungen der Meinungsfreiheit und radikalen Ansichten befasst sich das Toleranzparadoxon des Philosophen Karl Popper (1902 – 1994). Popper argumentiert, dass eine tolerante Gesellschaft die intoleranten Ansichten nicht tolerieren kann, da dies letztendlich die Toleranz selbst gefährden würde. Wenn intolerante Ideologien ungehindert verbreitet werden, können sie die Basis der Demokratie und der freien Gesellschaft untergraben.
Das Paradoxon beschreibt, dass eine Gesellschaft, die sich als tolerant versteht, auch die Verantwortung hat, sich gegen intolerante Ansichten zu verteidigen, um ihre eigene Existenz zu sichern. Dies bedeutet, dass es notwendig sein kann, Grenzen zu setzen, um die Werte einer offenen Gesellschaft zu schützen.
Die Frage, wann Ansichten als intolerant gelten und deshalb nicht toleriert werden sollten, ist allerdings komplex und oft umstritten.
Das Risiko für die Demokratie hat dabei zwei Seiten:
- Die Demokratie kann es verpassen, ihren Feinden rechtzeitig Grenzen zu setzen und geht damit das Risiko ein, unterzugehen.
- Das Toleranzparadoxon kann dazu missbraucht werden, unliebsame Ansichten vorschnell einzuschränken oder zu verbieten. Damit untergräbt die Demokratie ihre eigenen Grundsätze.
Mindestens zwei Kriterien sprechen aber sehr dafür, dass die Grenzen der Toleranz erreicht sind:
- Aufruf zur Gewalt: Wenn eine Meinung oder Ideologie zur Gewalt gegen andere aufruft oder diese rechtfertigt, wird sie häufig als fundmental intolerant angesehen und nicht toleriert.
- Bedrohung der demokratischen Ordnung: Wenn eine Ideologie die Grundlagen der demokratischen Ordnung oder der Menschenrechte angreift, indem sie beispielsweise die demokratische Verfassung gefährdet, kann dies ebenfalls als Grund für Intoleranz gelten.
Wichtig ist, dass Demokratinnen und Demokraten sich bewusst sind, dass die Demokratie immer mit einem Risiko verbunden ist, und dass mit diesem Risiko sorgfältig umgegangen werden muss. Demokratie ist nicht selbstverständlich.
Siehe auch:
Feinde der Demokratie – zwölf Punkte und eine Aufforderung