Die Wählerinnen und Wähler in Argentinien entscheiden sich in der Stichwahl gegen den Regierungskandidaten Massa und machen den unorthodoxen Ultraliberalen Javier Milei zum neuen Präsidenten des Landes. Das dürfte einschneidende Veränderungen zur Folge haben, denn der Wahlsieger hat ein radikales Abbruchprogramm für Argentinien angekündigt.
Er bezeichnet die Landeswährung als „Exkrement“, die er mit dem US-Dollar ersetzen will, die Zentralbank und mehrere Ministerien will er abschaffen, obwohl niemand nachvollziehbar erklären kann, wie dies funktionieren würde.
Was läuft schief in einem Land, wenn eine derart fragwürdige, problematische Figur an die Macht gewählt wird?
Schwere Wirtschaftskrise in Argentinien
Argentinien als zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Inflationsrate übersteigt 140 Prozent, etwa 40 Prozent der Menschen in dem einst reichen Land leben unterhalb der Armutsgrenze. Argentinien leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, tiefer Produktivität der Industrie und einer umfangreichen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen vorenthält. Die Landeswährung Peso verliert gegenüber dem US-Dollar immer stärker an Wert, der Schuldenberg wächst laufen.
Javier Milei profitierte hauptsächlich von der Wut zahlreicher Argentinier auf die Dauerkrise und auf das politische Establishment. Er setzt wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der frühere brasilianische Staatschef Jair Bolsonaro auf eine Anti-System-Rhetorik, verzichtet im Gegensatz zu seinen Vorbildern jedoch auf rechtsradikale Ausfälle und befürwortet zum Beispiel die gleichgeschlechtliche Ehe.
Für Argentinien bedeutet der Sieg des marktliberalen Milei eine echte Kehrtwende, wo die linken Peronisten seit mehr als 20 Jahren maßgeblich den Ton angeben, der Staat massiv in die Wirtschaft eingreift, öffentliche Dienstleistungen hoch subventioniert werden und in vielen Provinzen mehr Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor beschäftigt sind als in der Privatwirtschaft. Nun dürfte allerdings Mileis Kompromissfähigkeit auf die Probe gestellt werden, denn allein wird er trotz seiner radikalen Rhetorik nicht weit kommen. Im Parlament hat der neue Präsident keine Mehrheit, sein Lager verfügt nicht über einen Provinzgouverneur und es fehlt ihm an qualifiziertem Personal, um wichtige Schlüsselpositionen zu besetzen.
Seine politischen Gegner hingegen können ihm das Leben als Staatschef schwer machen: Die linken Peronisten sind über Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Parteistrukturen bis in die kleinsten Ortschaften bestens organisiert und jederzeit im Stande, das öffentliche Leben in Argentinien mit Protesten gegen die neue Regierung lahmzulegen.
Ein verrückter Exzentriker für Argentinien?
Manche halten Javier Milei allerdings nicht nur wegen seines radikalen Abbruchprogramms für Argentinien für verrückt. Laut der unautorisierten Biografie „El Loco“ hat der neue Präsident harte Zeiten hinter sich. Er soll in seiner Kindheit von seinem Vater regelmäßig windelweich geschlagen worden sein und war in der Schule ein gemobbter Außenseiter. Später betrachtet Milei seinen Hund Conan als seinen Sohn. Als die englische Dogge im Jahr 2017 stirbt, spricht er bald mit Hilfe eines Mediums mit deren Geist.
Eine Freundin erstellt ein Profil des verstorbenen Hundes in den sozialen Medien, an das Milei Liebesnachrichten sendet. Millei lässt Conan in den USA klonen und benennt seine „Enkel“ nach liberalen Wirtschaftswissenschaftlern: Milton (Friedman), Murray (Rothbard), Robert (Lucas) sowie erneut Conan, weil der sich wie sein genetischer Vater verhält. Um sowohl mit toten als auch mit lebenden Hunden kommunizieren zu können lassen sich Milei und seine Schwester Karina, die im Hintergrund alle Fäden zieht, in Telepathie schulen. Laut dem Autor der Biografie sind die Doggen, die mit Milei im Zentrum der Hauptstadt wohnen, wie ein Schattenkabinett: Jeder der Hunde berät ihn in einem anderen Themenbereich.
Ein Freund des Westens?
Man kann nicht im Voraus wissen, wohin ein derartiger Exzentriker wie Milei sich bewegt. Für den Westen ist immerhin interessant, dass der neue Präsident auf Distanz geht zu China und Russland. Der libertäre Ökonom positioniert sich auch als Freund der USA und Israels.
Quellen:
Ultraliberaler besiegt Minister“Anarchokapitalist“: Milei gewinnt Stichwahl in Argentinien (ntv)
Das neue Argentinien als Win-win-Partner für den Westen (WELT, Abo)
Anmerkung:
Ähnlich wie bei Trump und Bolsonaro scheinen die Wählerinnen und Wähler von Javier Milei die Schnauze von der bisherigen Politik derart voll zu haben, dass sie bereit sind, den radikalen Abriss zu wählen. Hauptsache, es wird anders. Das sind gefährliche Momente für Demokratien, weil so potenzielle Diktatoren, Narzissten, Extremisten und Exzentriker an die Macht kommen können. Sind diese Figuren einmal an der Macht, zeigt sich nicht selten, dass sie die Demokratie abbauen und unterminieren, um ihre Abwahl zu erschweren.
Demokratien dürfen es nicht so weit kommen lassen, dass die Menschen derart die Schnauze voll haben, dass sie Führerfiguren nachlaufen, die den radikalen Wandel predigen und die Rettung von allen Übeln versprechen.
Es bleibt zu beobachten, wohin Argentinien mit Javier Milei in den nächsten Jahren steuert.