Seit über 20 Jahren untersuchen die beiden Politikwissenschaftler und Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt den Aufstieg und Fall von Demokratien in Europa und Lateinamerika.
In Ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“ zeigen sie anhand einer Fülle von Beispielen, was passiert, wenn entscheidende Eckpfeiler wie eine freie Presse oder die Unabhängigkeit der Justiz untergraben werden und eingespielte demokratische Normen nicht mehr gelten.
Weil Demokratien seit einigen Jahren weltweit angegriffen und ausgehöhlt werden, sind die Erkenntnisse der beiden Autoren heute wichtiger denn je.
Dazu interessante Zitate aus dem Buch von Levitsky & Ziblatt:
„So stellen wir uns den Tod von Demokratien vor: durch Waffengewalt. Während des Kalten Kriegs waren Staatsstreiche für annähernd drei Viertel der Zusammenbrüche von Demokratien verantwortlich.»
Die Geschichte liefert tatsächlich zahlreiche Beispiele dafür, dass demokratische Gesellschaften mit einem Knall untergehen, mit einem Putsch, mit einem Staatsstreich. Levitsky & Ziblatt weisen aber darauf hin, dass Demokratien auch nach und nach durch gewählte Politikerinnen oder Politiker in Autokratien umgewandelt werden können. Und diese Fälle nehmen offenbar zu.
Demokratien sterben nicht selten leise
Levitsky & Ziblatt schildern diesen Vorgang so:
«Aber es gibt noch eine andere Art des Zusammenbruchs, die zwar weniger dramatisch, aber genauso zerstörerisch ist. Demokratien können nicht nur von Militärs, sondern auch von ihren gewählten Führern zu Fall gebracht werden, von Präsidenten oder Ministerpräsidenten, die eben jenen Prozess aushöhlen, der sie an die Macht gebracht hat. Manche dieser Führer reissen die Demokratie rasch ein, wie Hitler es 1933 nach dem Reichstagsbrand getan hat. Häufiger indes erodieren die Demokratien langsam und in kaum merklichen Schritten……
Auf diese Weise gehen Demokratien heute zugrunde. Die offene Diktatur, ob nun in faschistischer, kommunistischer oder militärischer Form, ist weltweit nahezu verschwunden. Militärputsche und andere gewaltsame Machtergreifungen sind selten geworden. In den meisten Ländern werden reguläre Wahlen abgehalten. Demokratien sterben weiterhin, aber auf andere Weise. Seit dem Ende des Kalten Kriegs sind die meisten demokratischen Zusammenbrüche nicht durch Generäle und Soldaten, sondern durch gewählte Regierungen verursacht worden. Wie Chávez in Venezuela haben gewählte Politiker demokratische Insitutionen ausgehöhlt – in Georgien, Nicaragua, Peru, den Philippinen, Polen, Russsland, Sri Lanka, der Türkei, der Ukraine und Ungarn. Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne.»
Der gefährliche Weg über die Wahlurne zum Zusammenbruch
Levitsky & Ziblatt warnen vor dieser Entwicklung:
«Der Wahlweg zum Zusammenbruch ist auf gefährliche Weise trügerisch. Bei einem klassischen Staatsstreich, wie Pinochets Machtergreifung in Chile, tritt der Tod der Demokratie sofort ein und ist für alle offensichtlich: Der Präsidentenpalast brennt; der Präsident wird getötet, verhaftet oder exiliert; die Verfassung wird ausgesetzt oder ganz aufgehoben. Auf dem Wahlweg erfolgt nichts davon. Es fahren keine Panzer durch die Strassen. Verfassungen und andere nominell demokratische Institutionen bleiben bestehen. Die Menschen gehen weiterhin zur Wahl. Gewählte Autokraten halten eine demokratische Fassade aufrecht, während sie die demokratische Substanz auflösen.“
Quelle der Zitate:
„Wie Demokratien sterben“, von Steven Levitzky und Daniel Ziblatt, Pantheon Verlag 2019.
Anmerkungen:
Weil Demokratien auch durch gewählte Politikerinnen und Politiker zu Autokratien umgebaut werden können ist eine wache Zivilgesellschaft notwendig, die allen Versuchen in diese Richtung Widerstand entgegensetzt. Das Buch von Levitsky & Ziblatt schärft die Wahrnehmung für antidemokratische Entwicklungen.
Wir haben demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse lange als selbstverständlich vorausgesetzt. Das sind sie aber nicht. Deshalb ist es wichtig, zügig Strukturen und Organisationen aufzubauen und zu stärken, die zur Festigung von Demokratie und Rechtsstaat beitragen. Es reicht nicht, wenn sich diesem Problem nur Einzelpersonen annehmen.