Wie man Geschichte als politische Waffe instrumentalisiert, zeigt Wladimir Putin nicht zum ersten Mal: Er vergleicht westliche Führungspersonen wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit Napoleon. Das Beispiel zeigt, wie in Russland Geschichtsschreibung als Waffe instrumentalisiert wird.
Am 6. März 2025 warf Wladimir Putin westlichen Führungsfiguren vor, in die Fussstapfen Napoleons treten zu wollen, und er warnte vor den Konsequenzen solcher Ambitionen. Obwohl er Macron nicht direkt nannte, war die Anspielung auf den französischen Präsidenten klar. Putin erinnerte daran, dass Napoleon Bonaparte im Jahr 1812 Russland angriff, was letztlich in einer katastrophalen Niederlage für Frankreich endete. Dieser historische Verweis dient in Russland häufig dazu, patriotische Gefühle auszulösen und vor ausländischen Aggressionen zu warnen.
Macron wies diesen Vergleich entschieden zurück und betonte, dass Napoleon Eroberungskriege führte, während die einzige derzeitige imperialistische Macht in Europa Russland sei. Er nannte Putin einen „imperialistischen Revisionisten“, der Geschichte und Identität von Völkern umdeute, um seine eigenen Ziele zu rechtfertigen. Er äusserte darüber hinaus die Vermutung, dass Putins scharfe Reaktion darauf hindeute, dass Russland sich ertappt fühle, da der Westen seine wahren Absichten durchschaut habe.
Historische Vergleiche sind ein bekanntes Mittel in der politischen Rhetorik, um gegenwärtige Handlungen zu legitimieren oder zu delegitimieren. Mit der Bezugnahme auf Napoleon beabsichtigt Putin, westliche Führer als Aggressoren darzustellen, die Russland bedrohen. Dieses Narrativ knüpft an die russische Geschichtsschreibung an, in der die Niederlage Napoleons als Triumph Russlands über westliche Invasoren unterstrichen wird.
Macron hingegen verwendet den Ausdruck des „Revisionismus“, um Wladimir Putins Politik als Versuch darzustellen, die Geschichte umzuschreiben und frühere imperialistische Ambitionen Russlands wiederzubeleben. Dieser Vorwurf des Revisionismus bezieht sich auf die Annexion der Krim im Jahr 2014 und auf die militärische Unterstützung separatistischer Bewegungen in der Ostukraine, die als Verletzung der internationalen Ordnung angesehen werden. Putins Darstellung der ukrainischen Geschichte wurde von Historikern als „orwellsche Gegenwahrheit“ kritisiert, weil sie die die Existenz einer eigenständigen ukrainischen Nation leugnet.
Die Rolle der Geschichtsschreibung in der russischen Politik
Unter Wladimir Putin nutzt Russland verstärkt historische Narrative, um nationale Identität und die politischen Ziele des Kreml-Regimes zu fördern. Ein Beispiel für diese politisierte Geschichtsschreibung ist die Bewegung um das „Unsterbliche Regiment“, die ursprünglich dazu diente, der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten zu gedenken. Seit dem Jahr 2015 wird diese Bewegung vom russischen Staat unterstützt und dazu eingesetzt, patriotische Gefühle zu stärken und die Rolle Russlands als Befreier Europas zu betonen. Kritiker sehen darin eine Instrumentalisierung der Geschichte, die dazu beiträgt, dunkle Kapitel wie den Hitler-Stalin-Pakt oder die sowjetischen Repressionen auszublenden.
Diese Form der politisierten Geschichtsschreibung verstärkt ein nationalistisches und imperialistisches Selbstverständnis, das Russlands aggressive Handlungen in der Gegenwart rechtfertigen soll. Durch die Betonung der eigenen Opferrolle und der historischen Siege wird ein Narrativ konstruiert, das äussere Feinde herausstreicht und innenpolitische Unterstützung mobilisiert.
Europas Antwort auf Russlands politisierte Geschichtsschreibung
Die demokratischen Staaten Europas stehen vor der Herausforderung, auf Russlands Geschichtspolitik und die damit verbundenen territorialen und imperialen Ansprüche zu reagieren. Macrons scharfe Reaktion auf Putins Unterstellung spiegelt das Bewusstsein wider, dass historische Narrative eingesetzt werden, um geopolitische Ziele zu verfolgen. Die Demokratien Europas müssen deshalb nicht nur auf militärischer und diplomatischer Ebene agieren, sondern auch im Bereich der Geschichtsschreibung eine klare Haltung einnehmen.
Es ist hochgradig wichtig, historische Fakten entschieden zu verteidigen und einem Geschichtsrevisionismus entgegenzutreten, der darauf aus ist, Aggressionen zu rechtfertigen. Dies erfordert eine enge Kooperation europäischer Staaten, um ein gemeinsames Verständnis der Geschichte zu unterstützen und Desinformationskampagnen auch im Bereich der Geschichtsschreibung zu begegnen.
Insgesamt zeigt die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Macron und Putin, wie tief verwurzelt historische Narrative in der gegenwärtigen Politik sind und wie sie eingesetzt werden, um aktuelle Konflikte zu rahmen und zu legitimieren. Ein kritischer und informierter Umgang mit Geschichte ist deshalb notwendig, um politische Manipulationen zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.
Quelle:
«Emmanuel Macron und Wladimir Putin: Wortgefechte über historische Vergleiche und imperialistische Ambitionen», von Andreas Brucker (nachrichten.fr)
Siehe auch:
► Die Politisierung und Ideologisierung der Geschichtsschreibung ist Teil einer umfassenderen hybriden Kriegsführung des Kreml-Regimes gegen die Demokratien Europas:
Putin’s erfolgreiche hybride Kriegsführung gegen Europa
Putin will Russland zur dominierenden Macht in Europa machen
► Putin’s politisierte und ideologisierte Geschichtsschreibung ist geprägt von Täter-Opfer-Umkehr. Er unterstellt seien Gegnern stehts die Aggression, die er selbst im Programm hat. Diese Geschichtslügen basieren auf einer zunehmend faschistisch werdenden Ideologie. Sie ist geprägt durch radikalen Nationalismus, Militarismus und religiöser Aufladung durch enge Kooperation mit der Russisch-orthodoxen Kirche. Dazu kommt noch ein ausgeprägter Irredentismus, also das Bestreben, alle Vertreter einer bestimmten Ethnie (hier die ethnischen oder sprachlichen Russen) in einen Staat mit festen Territorialgrenzen zu vereinen. Siehe dazu:
Irredentismus in Putin’s Russland als Grundlage für Aggression