Die Historikerin Françoise Thom hat der «Frankfurter Rundschau» ein Interview gegeben, in dem es um die Entwicklungen in Russland geht und um die Reaktionen darauf in Europa. Putin’s Desinformation in Russland selbst funktioniere. Die große Masse werde völlig erschlagen von der Propaganda. Die meisten seien überzeugt, dass der Westen Russland zerstören will. Nur eine kleine urbane Elite merke, dass das pure Lügen sind.
Françoise Thom äussert sich in dem Gespräch auch zu den Destabilisierungsversuchen des Kreml-Regimes in den westlichen Demokratien:
«Die sozialen Medien haben den Russen zu einem sehr starken Hebel verholfen, um das demokratische Leben in Europa oder den USA zu verwirren und zu vergiften. Sie unterstützen bewusst Immigranten mit einer antikolonialen Rhetorik. Und dazu die extreme Rechte und Linke, zugleich also Marine Le Pen oder Sahra Wagenknecht. Die Absicht dahinter ist es für Moskau, das politische Zentrum in den Weststaaten auszulöschen und Konflikte zu provozieren. In den USA haben sie bereits dramatische Auswirkungen.»
Russland bedroht die westlichen Demokratien
Die westlichen Demokratien haben seit dem Zweiten Weltkrieg in vielerlei Hinsicht in einer Art «Wellness-Zone» gelebt. Viele Bewohnerinnen und Bewohner dieser Länder haben noch nicht realisiert, dass sich die Sicherheitslage drastisch verändert hat, und Diktaturen wie China, Russland, Iran und Nordkorea die demokratischen Gesellschaftsordnungen angreifen.
Die Herausforderungen, die sich für Europa daraus im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ergeben, fasst Françoise Thom so zusammen:
«Europa muss sich beeilen, der Ukraine zu helfen, sich für einen amerikanischen Ausfall zu wappnen. Das Schicksal der Ukraine wird immer mehr von Europa abhängen. Wir müssen erkennen, dass dieser Krieg für uns eine Frage von Leben und Tod ist, politisch gesprochen. Denn wenn sich Russland die Ukraine einverleiben kann, dann hätten wir ein bedrohliches, bis an die Zähne bewaffnetes Russland an unseren Grenzen. Ich glaube nicht, dass Putin das sowjetische Reich wiederherstellen will; ihm schwebt eher ein paneuropäisches Projekt vor, mit Russland als dominierender Macht. Das wäre brandgefährlich.»
Françoise Thom ist emeritierte Professorin der Sorbonne in Paris. Ihr Schwerpunkt als Historikerin liegt auf der Geschichte der Sowjetunion. Thom hat eine Biografie von Stalins Handlanger Lawrenti Beria verfasst.
Quelle:
Historikerin: „Dämmerung des Putinschen Regimes“ in Russland beginnt (Frankfurter Rundschau)
Siehe auch:
Viele Herausforderungen für westliche Demokratien – packen wir das?
Putinismus – Ideologie und Verschwörungstheorien
Herta Müller bringt Wladimir Putin auf den Punkt
Zu Putin-Propagandisten in der Schweiz:
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Roger Köppel: Propagandatreffen mit russischer Kinderverschlepperin