Europäische Demokratien müssen sich besser wappnen gegen die hybride Kriegsführung aus Russland.
Der Politologe Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln, schrieb vor kurzem auf Twitter/X:
«In Deutschland lässt sich erfolgreiche hybride Kriegsführung beobachten. Putin hat den Osten des Landes ohne militärische Gewalt eingenommen. Der nächste Schritt zielt auf Berlin.» Quelle: https://x.com/jaegerthomas2/status/1817931948305854867
Russische Propaganda stösst im Osten Deutschlands auf offene Ohren, das ist aber nur ein Beispiel für eine viel umfassendere hybride Kriegsführung.
Das «Zentrum Liberale Moderne» hat zu diesem Thema ein Gespräch veröffentlich mit Julia Smirnova. Sie arbeitet als Senior Analyst für die Digital Analysis Unit am Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London und untersucht die Verbreitung von Desinformation, Propaganda, Verschwörungsmythen und extremistischen Ideologien im Internet. Julia Smirnova weist auf die grosse Bandbreite der systematischen Informationsmanipulation hin, die für eine hybride Kriegsführung genutzt wird.
Hybride Kriegsführung durch systematische Informationsmanipulation
Eigentlich mache Desinformation – also die absichtliche Verbreitung von falschen Behauptungen – nur einen Teil von russischen Einflusskampagnen aus, sagt die Analystin, und führt aus:
«Breiter gefasst sprechen wir von Informationsmanipulation, ein Begriff, der sich vor allem auf Verhalten und Taktiken fokussiert. Dazu gehört die künstliche Verstärkung bestimmter politischer Meinungen durch Zehntausende Bots in sozialen Medien. Ein zentrales Ziel russischer Einflussoperationen in Europa besteht darin, die Solidarität mit der Ukraine zu untergraben. Dafür verbreiten russische staatliche und pro-russische Accounts massenhaft erfundene Geschichten und negative Meinungen über den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj oder ukrainische Geflüchtete. Als Teil der Operation „Doppelgänger“ etwa wurden bei Facebook Tausende Anzeigen gekauft, die in Deutschland Ängste um die Wirtschaftslage hervorrufen oder die Ukraine diffamieren sollten. Schon vor Beginn des großangelegten Angriffs auf die Ukraine versuchte Russland, die öffentliche Meinung in Europa mit Staatsmedien und verdeckten Kampagnen zu beeinflussen.»
Die russische Propaganda versuche dabei nicht, ein kohärentes Weltbild zu vermitteln. Sie sei häufig widersprüchlich, spreche das linke wie rechte politische Lager an und versuche, die Menschen zu verwirren, ihnen das Gefühl zu vermitteln, etablierten Medien und Parteien sei nicht zu trauen.
Ein langfristiges Ziel des Kremls sei es, Unsicherheit und Chaos im Westen zu verbreiten und demokratische Institutionen zu diskreditieren:
«Russische Staatsmedien verstärken systematisch polarisierende, migrationsfeindliche und demokratieskeptische Stimmen. Schon während der Covid-19-Pandemie gab der finanziell gut ausgestattete deutschsprachige Ableger des russischen Staatssenders, RT DE, regelmäßig Covid-Skeptiker:innen und Verschwörungsideolog:innen eine Bühne und etablierte sich so in diesem Milieu.»
Es bestehe auch ein symbiotisches Verhältnis zwischen der russischen Propaganda und Teilen der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene in Deutschland – «sie verstärken sich gegenseitig, übernehmen ideologische Elemente oder diffamierende Begriffe wie „Lügenpresse“. Letztlich arbeiten sie so gemeinsam an der Zersetzung der demokratischen Öffentlichkeit.»
Was tun gegen hybride Kriegsführung?
Im Kampf gegen Propaganda und systematische Informationsmanipulation sieht Julia Smirnova die Social-Media-Unternehmungen in der Pflicht. Sie sollen systemische Risiken auf ihren Plattformen bewerten und gewährleisten, dass autoritäre Staaten sie nicht missbrauchen. Wichtig seien aber auch Programme zur Stärkung der Medienkompetenz in allen Altersgruppen und die Stärkung des klassischen und regionalen Journalismus.
Quelle:
Parallelwelten: Drei Fragen an Julia Smirnova (Zentrum Liberale Moderne)
Anmerkungen:
☛ Autoritäre Staaten wie Russland und China nutzen die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit in Demokratien aus für ihre demokratiefeindliche Informationsmanipulation. Das ist eine grosse Herausforderung für demokratische Staaten, denn sie können Grundwerte wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit nicht so einfach einschränken wie autoritäre Staaten. Gleichzeitig dürfen sie das Tor für den Einfall von Desinformation nicht unbegrenzt offenlassen.
☛ Zur Verteidigung gegen hybride Kriegsführung sind zwar in erster Linie der Staat und die Social-Media-Unternehmen in der Verantwortung, doch wäre es wichtig, dass auch die Zivilgesellschaft aktiv wird und sich organisiert. Welche Organisationen braucht es dazu? Wie lassen sie sich aufbauen?
☛ EUvsDisinfo identifiziert und analysiert seit 2015 Desinformation und informiert darüber: https://euvsdisinfo.eu/de/
☛ Siehe auch:
Putin’s Handlanger im Westen politisch isolieren!
Herta Müller bringt Wladimir Putin auf den Punkt
Irredentismus in Putin’s Russland als Grundlage für Aggression
Putinismus – Ideologie und Verschwörungstheorien