Der Begriff «Empörungsrhetorik» beschreibt eine Kommunikationsweise, die gezielt Empörung oder starke emotionale Reaktionen hervorrufen möchte. Dies geschieht häufig durch übertriebene Darstellungen, polemische Argumente oder durch das Schüren von Ängsten und Vorurteilen. Empörungsrhetorik zeigt sich häufig und in unterschiedlicher Form und Intensität in politischen Debatten. In sozialen Medien verstärkt sie sich oft bezogen auf ein bestimmtes Ereignis zu «Shitstorms». Sie ist ein wichtiger Bestandteil politischer Agitation und Propaganda.
Rechte und linke Varianten der Empörungsrhetorik
Empörungsrhetorik gibt es von rechts und von links. Rechte Empörungsrhetorik erhitzt sich zum Beispiel an Themen wie der Migrationsdebatte oder an «Europa-Fragen» – und sie zeigt oft verschwörungstheoretischen Tendenzen.
Linke Empörungsrhetorik fährt prompt in Stellung, wenn es um Identitätspolitik geht. Sie dreht sich oft um Aspekte wie Transaktivismus, Genderideologie, Cancel Culture, kulturelle Aneignung oder Trigger-Warnungen.
Empörung ist nicht grundsätzlich und in jedem Fall schlecht. Es gibt auch gute Gründe für berechtigte Empörung. Denn Empörung ist moralischer Zorn über die Fehltritte anderer oder über Zustände, die wir als unhaltbar empfinden. Sie stellt sich spontan ein, wenn wir beispielsweise hören, dass ein Kind gequält wird oder das Regime im Iran Demonstrantinnen foltert und ermordet. Ohne Empörung hätte es keine Französische Revolution gegeben und Frauen hätten nicht gemeinsam für die Einführung des Frauenstimmrechts gekämpft. «Empörung» liegt bedeutungsmässig als Begriff nicht umsonst in der Nähe von «Aufstand» oder «Rebellion». Der französische Philosoph Albert Camus (1913 – 1960) hat diesen gemeinschaftsstiftenden Aspekt der Empörung so ausgedrückt: «Ich empöre mich, also sind wir».
Empörung und insbesondere Empörungsrhetorik dient also auch der moralischen Kommunikation – auf gesellschaftlicher und auf persönlicher Ebene.
Wer sich über Missstände empört, zeigt damit auch auf eigene Werte und signalisiert Anderen, dass diese Werte verletzt wurden. Er fällt ein moralisches Urteil über einen Missstand und sagt damit auch etwas über sich selbst, nämlich dass er diesen Fehltritt oder diese Zustände ablehnt. Das «Empörungs-Manöver» ist raffiniert, weil es den Empörten oft verlässlich gegen Kritik immunisiert – denn er steht ja offenbar auf der Seite des Guten.
Empörung und mehr noch Empörungsrhetorik dienen zudem oft auch dazu, Loyalitätssignale an das eigene Lager zu senden oder von eigenen Unzulänglichkeiten und Fehlern abzulenken.
Woran erkennt man Empörungsrhetorik?
Der Unterschied zwischen berechtigter Empörung und einer überdrehten Empörungsrhetorik ist nicht immer leicht erkennbar.
Empörungsrhetorik erkennt man an bestimmten Merkmalen und Strategien, die häufig verwendet werden, um starke emotionale Reaktionen hervorzurufen. Hier sind einige charakteristische Kennzeichen:
- Emotionale Sprache: Verwendung von übertriebenen oder stark emotionalen Begriffen, um eine Reaktion zu provozieren.
- Absolute und vereinnahmende Feststellungen: Es werden Kollektivsingulare verwendet, bei denen nie klar wird, wer eigentlich gemeint ist: «Die» Menschen, «die» Linken, «die» Rechten, «die» Frauen, «die» Schwarzen, «die» Weissen. Dazu kommen absolute Wörter wie «immer», «alle», «nie»
- Schwarz-Weiß-Denken: Das Problem wird oft in extremen Kategorien dargestellt, z. B. als „gut“ oder „schlecht“, ohne Nuancen oder Graubereiche zu erkennen (Manichäismus).
- Dramatisierung: Übertreibung der Situation oder der Konsequenzen, um die Dringlichkeit zu erhöhen.
- Persönliche Angriffe: Anstatt sich mit Argumenten auseinanderzusetzen, werden Gegner oft persönlich angegriffen.
- Vereinfachung komplexer Themen: Komplexe Probleme werden stark vereinfacht dargestellt, um eine klare Linie zwischen „richtig“ und „falsch“ zu ziehen.
- Appelle an die Emotionen: Anstatt logische Argumente zu verwenden, wird häufig versucht, das Publikum emotional zu mobilisieren.
Welchen Einfluss hat Empörungsrhetorik auf die Demokratie?
Empörungsrhetorik kann stark zur Polarisierung von politischen Debatten führen, das Vertrauen in Institutionen untergraben und die Fragmentierung einer Gesellschaft vorantreiben. Eine aufgeheizte Empörungsrhetorik ist daher ein erhebliches Risiko für die Demokratie. In der hybriden Kriegsführung ist sie ein wichtiges Element der Desinformation und Propaganda. Die russische Propaganda gegen demokratische Staaten liefert dazu zahlreiche Beispiele. Ein bekannter Fall ist die russische Propagandalüge, wonach ukrainische Soldaten in der Ostukraine einen Jungen gekreuzigt hätten. In den USA erlangte die Pizzagate-Verschwörungstheorie Einfluss auf das politische Geschehen. Diese faktenfreie Verleumdungskampagne behauptete, dass Hillary Clinton in der Pizzeria Comet Ping Pong in Washington an einem Kinderpornoring beteiligt sei. Beide Beispiele zeigen, dass mit Empörungsrhetorik in Bezug auf das angebliche Leid von Kindern besonders leicht Emotionen geweckt werden können.
In moderaterer Form kann Empörungsrhetorik auch positive Effekte auf demokratische Gesellschaften haben und zum Beispiel die Aufmerksamkeit auf wichtige Themen lenken und Menschen für die Politik mobilisieren.
Quellen:
«Moralspektakel – Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht», von Philipp Hübl, Siedler Verlag 2024. Buchbesprechung und Zitate.
«Identität im Zwielicht – Perspektiven für eine offene Gesellschaft», Claudius Verlag 2021.
Wilde Propaganda-Geschichte? Russischer Sender berichtet von Kreuzigung (n-tv)
Pizzagate Verleumdungskampagne & Verschwörungstheorie
Unterstützt durch ECOSIA AI
Siehe ausserdem:
Agitator, der – als Feind der Demokratie
Desinformation als Gefahr für die Demokratie
Polarisierung – ihre Auswirkung auf Demokratien
Debattenkultur in der Demokratie
Identitätspolitik als Gift für die Demokratie