Politische Parteien müssen sich nicht selten harte Vorwürfe anhören – sie seien abgehoben, machtbesessen, und sie würden ihre Wahlversprechungen nicht erfüllen. Mag sein, dass diese Kritik punktuell zutrifft. Die pauschale Kritik übersieht aber, dass Parteien unverzichtbare Aufgaben erfüllen in einer Demokratie. Hier dazu die wichtigsten Punkte:
- Repräsentation: Parteien vertreten die Interessen verschiedener Gruppen in der Gesellschaft. Sie bündeln diese Interessen und speisen sie in den politischen Prozess ein.
- Politische Willensbildung: Parteien tragen zur Formulierung und Entwicklung von politischen Programmen und Ideen bei, die in Wahlkämpfen präsentiert werden. Sie helfen damit, den politischen Diskurs zu gestalten.
- Mobilisierung: Parteien mobilisieren Wähler und fördern die politische Beteiligung, indem sie Informationen bereitstellen und Menschen zur Teilnahme an Wahlen und politischen Aktivitäten motivieren.
- Regierungsbildung: Über die Beteiligung an Wahlen sind Parteien entscheidend für die Bildung von Regierungen. In manchen Ländern bilden sie nach Wahlen auch Koalitionen und arbeiten mit anderen Parteien zusammen, um eine stabile Regierung zu bilden.
- Kontrolle und Opposition: Parteien in der Opposition spielen eine bedeutende Rolle, indem sie die Regierung kontrollieren, deren Entscheidungen hinterfragen und alternative Vorschläge unterbreiten.
- Politische Sozialisierung: Parteien tragen zur politischen Bildung der Bürger bei, indem sie Informationen über politische Prozesse und Themen bereitstellen und so das politische Bewusstsein fördern. In der Partei lernen angehende Politikerinnen und Politiker ihr «Handwerk».
Diese Funktionen sind entscheidend für das Funktionieren einer Demokratie und tragen zur Stabilität und Legitimität des politischen Systems bei.
Parteien tragen eine hohe Verantwortung für die Widerstandskraft von Demokratien
Den politischen Parteien kommt eine grosse Verantwortung für die Stabilität von Demokratie und Rechtsstaat zu. Sie dürfen unter keinen Umständen Kandidatinnen und Kandidaten für politische Ämter aufstellen, die autoritäre Tendenzen zeigen. Die Republikanische Partei in den USA hat in dieser Hinsicht komplett versagt. Donald Trump hätte nie Kandidat für das Präsidentenamt werden dürfen. Sein Mafiastil, sein übergrosses Ego und seine autoritären Züge waren und sind allzu bekannt.
Gewinnt eine extremistische Partei an Wählerstärke, ist es entscheidend, dass demokratische Parteien aller Lager zusammenarbeiten, um demokratische Mehrheiten sicherzustellen. Levitsky & Ziblatt schreiben bezogen auf die Verteidigung der US-amerikanischen Demokratie in ihrem Buch «Wie Demokratien sterben»:
«Trumps Gegner sollten eine breite prodemokratische Koalition bilden. Heutzutage sind Koalitionen häufig Zusammenschlüsse von gleichgesinnten Gruppen….
Koalitionen von Gleichgesinnten sind wichtig, aber sie genügen nicht, um die Demokratie zu verteidigen. Die wirkungsvollsten Koalitionen sind diejenigen, in denen sich Gruppen zusammenfinden, die in vielen Fragen unterschiedliche – und häufig gegensätzliche -Ansichten vertreten. Sie bestehen nicht aus Freunden, sondern aus Gegnern. Eine wirkungsvolle Koalition zur Verteidigung der amerikanischen Demokratie müsste also Progressive, Geschäftsleute und Unternehmer, religiöse (und insbesondere evangelikale) Führer und Republikaner aus Bundesstaaten mit republikanischer Mehrheit umfassen….
Koalitionen zu bilden, die über unsere natürlichen Verbündeten hinausgehen, ist schwierig. Man muss bereit sein, Anliegen, die einem wichtig sind, für den Augenblick beiseite zu legen.» (Seite 256/257)
Das gilt selbstverständlich auch für politische Entwicklungen ausserhalb der USA. In einem Interview mit der «Republik» bringt Daniel Ziblatt diese Grundregel zur Verteidigung der Demokratie folgendermassen auf den Punkt:
«Demokratische Gegenmächte können Autokraten verhindern, wenn sie über politische Differenzen, die sie untereinander haben, hinwegsehen und klare Prioritäten setzen.»
Um ihre Verantwortung wahrzunehmen, müssen demokratische Parteien deshalb:
- Keine Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen, die autokratische Neigungen haben.
- Zur Abwehr extremistischer und antidemokratischer Parteien auch mit politischen Gegnern lagerübergreifend zusammenarbeiten.
Herausforderungen für Parteien in der Gegenwart
Parteien stehen vor grossen Herausforderungen verschiedenster Art. Hier einige wichtige Beispiele:
► Geschlossene Milieus haben sich aufgelöst: In früheren Zeiten bedienten Parteien einheitlichere Milieus. Die FDP war die Partei der Unternehmer, die SVP bediente Bauern und Gewerbler, die SP organisierte die Arbeiterschaft und die CVP die Katholiken. Die Parteien konnten auf eine hohe Loyalität der von ihren vertretenen Menschen zählen. Weil diese Milieus nicht mehr so geschlossen sind, bröckelt diese Loyalität und es wird auch komplexer für Parteien, Interessen ihrer heterogener gewordenen Mitgliederschaft zu bündeln.
► Vertrauensverlust: Das Vertrauen in politische Institutionen und Parteien nimmt in vielen Ländern ab. Dafür dürfte es mehrere und unterschiedliche Gründe geben. Eine Rolle spielt wohl, dass gesellschaftliche und politische Vorgänge inzwischen sehr komplex sind. Das macht es für Parteien herausfordernd, nachvollziehbare Lösungen zu erarbeiten, weil es simple Lösungen kaum mehr gibt. Den Vorwurf, Parteien würden ihre Wahlversprechen nicht einlösen, muss man differenziert und an konkreten Beispielen beurteilen. Ziele, die im Wahlkampf ausgesprochen wurden, können manchmal auch nicht erreicht werden, weil die dazu nötige Mehrheit fehlt und daher Kompromisse eingegangen werden müssen.
►Polarisierung: In stark polarisierten Gesellschaften kann es für eine Partei schwierig werden, mit anderen Parteien Kompromisse zu finden und auch innerhalb einer Partei können Polarisierungen zu blockierenden Flügelkämpfen führen.
► Individualisierung: In zunehmend individualisierten Gesellschaften schwindet das Engagement für Vereine und Organisationen, weil sich viele Leute in die private Sphäre zurückziehen. Unter dieser Entwicklung leiden auch Parteien. Sie kann zudem bewirken, dass monothematische zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs für Engagements attraktiver werden. Hier kann man sich punktuell für ein Thema einsetzen, für das man «brennt». Parteien befassen sich dagegen mit der ganzen Bandbreite der politischen Themen. Das hat zur Folge, dass viele Menschen sich nicht mit dem ganzen Parteiprogramm identifizieren können und deshalb nicht beitreten. Eine vollständige Übereinstimmung ist aber oft nicht erreichbar. Wer nur einer Partei betreten will, mit der er in jedem Punkt übereinstimmt, müsste zugespitzt gesagt eine eigene 1-Personen-Partei gründen. Durch die Mitarbeit in einer Partei setzt man sich Ambivalenzen aus, eben weil es nicht überall «passt». Und mit solchen Ambivalenzen umgehen zu können ist eine wichtige Voraussetzung für demokratische Politik.
► Finanzierung: Parteistrukturen und Parteiarbeit kosten Geld. Die Finanzierung dieses Aufwandes ist deshalb für Parteien eine dauernde Herausforderung. Für den Staat stellt sich die Frage, ob und wie er diese unverzichtbare Arbeit der Parteien unterstützen soll. Denn es ist natürlich problematisch, wenn politische Parteien stark von Grossspendern abhängig sind. Und die Finanzierung der Parteien muss so transparent wie möglich sein.
Fazit: In Diktaturen gibt es keine politischen Parteien oder nur eine. Also sollten wir froh sein, dass wir diese Organisationen haben. Wer Interesse an Politik hat, den kann man nur ermutigen, einer demokratischen Partei beizutreten und aktiv mitzuwirken. Das ist wichtig für die Demokratie und auf alle Fälle besser als nur zu „motzen“.
Quellen:
«Der zweite Versuch der Machtergreifung ist gefährlicher», Interview von Daniel Binswanger mit Daniel Ziblatt (Republik)
Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, «Wie Demokratien sterben», DVA Verlag 2018.
Verantwortung für Demokratie (Pro-Demokratie.Info)
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