Martin Wolf ist Chefkommentator und Mitherausgeber der britischen Financial Times. Der liberale Vordenker hat ein neues Buch geschrieben mit dem Titel «The Crisis of Democratic Capitalism». Darin sieht er dunkle Wolken über Demokratie und Kapitalismus heraufziehen – und empfiehlt dringende Reformen, um beides in die Zukunft zu retten.
Martin Wolf hat der österreichischen Tageszeitung «Der Standard» ein Interview gegeben. Darin macht er klar, dass er die demokratischen Systeme in Gefahr sieht:
«Zwar sind die Systeme nicht überall gleichermaßen gefährdet – in manchen Staaten erweisen sie sich als stabiler und konsolidierter. Aber ausgerechnet in der wichtigsten Demokratie herrscht die größte Gefahr, in den USA. Hier stehen derzeit wirklich die Kerninstitutionen und -werte der Demokratie auf dem Spiel. In der Demokratie braucht es einige fundamentale Prinzipien, die beachtet werden müssen, damit sie funktioniert: Man muss die Legitimität von Wahlergebnissen anerkennen ebenso wie seinen politischen Gegner. Man muss sich den daraus resultierenden Niederlagen fügen. Man muss die Institutionen akzeptieren, die die Spielregeln von Wahlen bestimmen, also Wahlkommissionen und Gerichtshöfe….
Trump ist seit dem Jahr 2016 der mächtigste und erfolgreichste republikanische Politiker – und sehr wahrscheinlich der nächste Präsidentschaftskandidat. Und er akzeptiert nichts von diesen Dingen. Er zweifelt seine Wahlniederlage ebenso an wie die Legitimität seines Nachfolgers. Er erschien – ein hochgradig symbolischer Akt – nicht zur Angelobung seines Nachfolgers. Und seine Partei weigert sich, ihn für all das zu bestrafen.»
Martin Wolf zum Plan der US-Republikaner für den Weg in die Autokratie
Martin Wolf schildert im Interview auch prägnant, wie die US-Republikaner den Weg in die Autokratie planen, sollte Donald Trump bei den nächsten Wahlen erneut ins Weisse Haus einziehen:
«Die Republikaner haben einen gut ausgearbeiteten Plan in der Schublade. Nach der Machtergreifung werden politisch neutrale Beamte entlassen – unter dem Vorwand, dass sie den sogenannten tiefen Staat repräsentieren. Dann werden all die Positionen mit Parteigängern besetzt, denen die Loyalität gegenüber dem Präsidenten mehr gilt als die gegenüber der Verfassung. Von diesen Umwälzungen werden auch die Geheimdienste, die Justiz, die Steuerbehörden und vor allem die Armee betroffen sein. Trifft dies ein, dann wären wir schon sehr, sehr nahe an einer vollwertigen Autokratie.»
Quelle:
Britischer Publizist Martin Wolf: „Unsere Eliten haben versagt“ (Der Standard)
Ergänzung:
Was den Weg von der Demokratie in eine Autokratie betrifft, bringt Martin Wolf wesentliche Aspekte auf den Punkt:
☛ Trumps Wahllüge zersetzt das Vertrauen in demokratische Verfahren und untergräbt die Demokratie. Leider macht dieses demagogische Vorgehen insbesondere bei Rechtspopulisten und Rechtsextremen anderer Länder Schule. Daraus kann man nur schlussfolgern: Wähle nie Personen, die demokratische Wahlen ohne Angabe von handfesten Gründen und Belegen in Frage stellen.
Siehe dazu:
Wahlbetrug / Wahlmanipulation als Unterstellung und Verschwörungstheorie
☛ Die Absicht, Verwaltung und Justiz die Unabhängigkeit zu rauben und sie zu willfährigen, loyalen Anhängern des gewählten «Führers» zu machen, ist brandgefährlich und bis in die Knochen undemokratisch. Demokratie heisst nicht, «Der Führer ist mit Mehrheit gewählt, nun müssen ihm alle folgen» (= Untertan sein). Demokratie braucht Spielregeln, Machtteilung, den unabhängigen Rechtsstaat. Martin Wolf formuliert diese Anforderungen prägnant.
Etwas vom Eindrücklichsten in Trumps Amtszeit waren Beamtinnen und Beamte, die der Verfassung gegen grossen Druck die Treue hielten und sich nicht für die Machtbedürfnisse des Präsidenten vereinnahmen liessen.
Demokratien sterben heute nur noch selten durch einen Militärputsch. Sie sterben, wenn gewählte Politiker alle demokratischen Kontrollmechanismen auf legale oder illegale Weise aushebeln. Auch an diesem Punkt ist zu sehen, dass manche Politiker das Vorbild Trump nachahmen. Die Regierungen in Ungarn und Polen sind auf einem ähnlichen Weg und schwächen systematisch den Rechtsstaat.
Demokratinnen und Demokraten müssen an diesen Punkten – die oft schleichen umgesetzt werden – wachsam bleiben. Das Interview mit Martin Wolf wirkt hier als Warnung.