In Serbien haben Studentinnen und Studenten eine Protestwelle angerissen. Aktueller Anlass war ein tödlicher Vorfall am 1. November 2024: Das Vordach am Bahnhof der nordserbischen Stadt Novi Sad stürzte an diesem Tag, wobei 15 Menschen ums Leben. Schlampige Renovierungsarbeiten und Korruption sollen der Grund gewesen sein. Die Protestierenden verlangen Transparenz und eine unabhängige Untersuchung. Inzwischen haben sich weitere Bevölkerungsschichten den Protesten angeschlossen und die Kritik richtet sich grundsätzlicher gegen die Politik von Präsident Aleksandar Vucic. Er regiert Serbien seit bald acht Jahren, betreibt einen regelrechten Personenkult, schart eine Übermacht regierungsnaher Medien um sich, verbreitet russische Propaganda. Vucic gibt zwar vor, Serbien in die EU führen zu wollen, steht aber Putin nah und regiert selber zunehmend autoritärer. Serbien wurde unter seiner Regierung mehr und mehr zu einer Scheindemokratie nach dem Vorbild, das Victor Orban in Ungarn verwirklicht hat.
Gegen diese Entwicklung stemmt sich die aktuelle Protestwelle. Es geschehen gerade viele einschneidende politische Ereignisse, zum Beispiel der russische Angriff auf die Ukraine oder der administrative Staatsstreich, den Trump in den USA vollzieht. Sie dominieren die internationalen Meldungen. Es besteht deshalb die Gefahr, dass ebenfalls wichtige Ereignisse wie die Proteste in Serbien nicht mehr die Aufmerksamkeit bekommen, die sie nötig hätten.
Deshalb dazu im Folgenden ausgewählte Meldungen:
Meldungen zu Protesten gegen Vucic in Serbien
15. März 2025:
Proteste gegen Präsident Vucic:
Die serbische Jugend bringt Belgrad zum Beben. Kommt es jetzt zum Showdown? (Tages-Anzeiger)
In Belgrad fand heute wohl die grösste Protestkundgebung in der Geschichte Serbiens statt. In ganz Serbien protestieren Menschen gegen Präsident Aleksandar Vucic. Sie werfen der Regierung Machtmissbrauch und Korruption vor. Der Tages-Anzeiger schreibt:
„Vucic, der die serbische Politik seit 2014 dominiert und 2017 zum Staatschef gewählt wurde, wirkt erstmals verunsichert. In den vergangenen Jahren gab es häufig Demonstrationen gegen ihn. Doch diese Protestwelle hat eine ganz andere Wucht, viele Menschen haben die Angst überwunden. Sie werfen der regierenden serbischen Fortschrittspartei (SNS) vor, Serbien in einen Selbstbedienungsladen verwandelt zu haben. Sie fordern funktionierende Institutionen, freie Medien und eine Gewaltenteilung.“
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15. Februar 2025:
Tausende demonstrieren in Serbien gegen Korruption und für Reformen (Der Standard)
Im Zuge der seit Monaten anhaltenden Massendemonstrationen gegen Korruption in Serbien kam es am Samstag zu umfangreichen Protestaktionen in der Stadt Kragujevac. Am serbischen Nationalfeiertag gingen dort tausende Studenten und andere Bürger aus ganz Serbien auf die Straße und blockierten die Hauptstraße der Stadt im Zentrum Serbiens.
Die Blockade in Kragujevac ist die dritte mehrtägige Demonstration in einer serbischen Stadt, nachdem ähnliche Massenproteste bereits in Belgrad und Novi Sad stattgefunden haben.
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12. Februar 2025:
Massen-Proteste in Serbien bis in allerkleinste Dörfer (Tagesspiegel)
In Tagesspiegel kommentiert Srdjan Cvijić vom Belgrade Centre for Security Policy die Proteste: „Es gibt Demonstrationen in den allerkleinsten Dörfern“, berichtet Srdjan Cvijić vom Belgrade Centre for Security Policy. „Die Proteste sind cool und trendy geworden, deshalb ziehen sie fast jeden an.“
Neuwahlen unter den aktuellen Bedingungen lehnen die Demonstranten ebenso wie grosse Teile der Opposition ab, „weil alle Institutionen von Vučićs Partei durchsetzt sind“, sagt Cvijić. Es gebe keine Rückkehr mehr zum Status Quo vor November.“ Aussitzen könne Vučić die Proteste diesmal nicht, dafür reichten sie zu weit, prophezeit der Sicherheitsforscher. Sollte Vučić den Befehl geben, die Proteste niederzuschlagen, erwartet er Widerstand in den Reihen der Polizei. Jeder Angriff auf Demonstrantinnen und Demonstranten sorge für „extreme Wut und massive Mobilisierung“.
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9. Februar 2025:
Erneut Proteste gegen Korruption in Serbien (Spiegel)
Studentinnen und Studenten blockierten am Sonntag wieder mehrere wichtige Straßen. Sie sind zur treibenden Kraft bei der Organisation der Proteste geworden. Seit November 2024 halten sie die meisten Hochschulen und Universitäten in Serbien besetzt.
Wie reagiert Präsident Aleksandar Vučić?
Er ruft abwechselnd zu Dialog auf oder macht ausländische Einmischung durch »westliche Staaten« und das benachbarte Kroatien für die Proteste verantwortlich. Ausserdem hat er die Studierenden beschuldigt, für ausländische Geheimdienste zu arbeiten, und er kündigte an, die »Bunte Revolution« zu bekämpfen, wie AP berichtet.
Aleksandar Vučić versucht, mit haltlosen Unterstellungen die Protestbewegung zu diffamieren.
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8. Februar 2025:
Proteste in Serbien: „Wir wurden wie Befreier empfangen“ (Zeit)
Die „Zeit“ berichtet über die Proteste in Serbien und lässt fünf Menschen zu Wort kommen, die dabei auf die Strasse gehen.
- Über 60 Prozent der Serbinnen und Serben unterstützen die Proteste.
- Wiederholt wurden Protestierende von Unterstützern der Regierungspartei und regierungsnahen Schlägertrupps angegriffen.
- Mehr als 60 Fakultäten sind landesweit seit Monaten besetzt, der Betrieb steht still.
- Jährlich verlassen bis zu 60.000 Menschen das Land in Richtung Deutschland, Kanada oder USA. Serbien verliert mit jedem Menschen, der sich entscheidet, auszuwandern. Es sei besser, das Land zu verändern, als es zu verlassen, ist ein Motto, das auf den Kundgebungen auftaucht.
Zum vollständigen Beitrag mit den fünf portraitierten Serbinnen und Serben geht es hier.
7. Februar 2025:
Serbien: Wie ein Bahnhofsunglück eine Generation auf die Straße treibt (ÖAW)
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) veröffentlichte ein Interview mit dem Osteuropa-Experten Oliver Jens Schmitt. Er erklärt darin, weshalb die landesweite Protestbewegung für Serbiens Präsident Aleksandar Vučić gefährlicher ist als frühere Demonstrationen und welche Rolle der Westen in der politischen Krise spielt. In der Vergangenheit habe die serbische Regierung jegliche Rebellion durch Konzessionen, Einschüchterungen, Drohungen und vor allem enormen Druck auf die Führer der jeweiligen Kundgebungen unbeschädigt zurückdrängen können. Die jetzigen Proteste seien anders:
„Sie vereinigen verschiedene Gesellschaftsgruppen, allen voran die Studierenden. Und: Diese Bewegung hat keinerlei Anführer:innen, die vom Regime angegriffen oder diffamiert werden könnten. Was für die Regierung besonders gefährlich ist: Die Proteste sind nicht auf große Städte wie Belgrad oder Novi Sad beschränkt, sondern breiten sich landesweit aus.“
In Serbien bekomme kaum jemand eine gute Stelle, wenn er nicht in irgendeiner Weise dem politischen System zugeneigt sei. Diese Abhängigkeiten seien sowohl dysfunktional als auch korrupt:
„Studierende sehen das kritisch und fühlen sich eingesperrt. Viele wandern sogar aus. Doch diejenigen, die auf die Straße gehen, setzen sich für ein besseres Leben im eigenen Land ein. Der schreckliche Unfall ist ein Sinnbild für all das, was in diesem Land nicht funktioniert.“
Der Westen habe dieses System lange unterstützt:
„Vučić wäre nicht an der Macht, wenn er nicht von der früheren deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und jetzt auch von Olaf Scholz als Stabilitätsanker gestützt worden wäre. Auch der Lithium-Pakt, den Serbien mit der EU beschlossen hat, stützt den Präsidenten. Doch Vučić, der frühere Propagandaminister von Slobodan Milošević, ist ein Hassredner, der nie von seinem nationalistischen Kurs abgekommen ist. Dass die Spionagesoftware aus westlichen Staaten, darunter auch die Schweiz, kommt, ist ein weiterer Skandal. Die Demonstrierenden, die jetzt auf die Straße gehen, genießen nicht die geringste Unterstützung aus dem Westen. Und das ist schändlich.“
Zum vollständigen Artikel hier.
3. Februar 2025:
«Ich finde es mega geil, dass Vucic endlich unter Druck kommt»
Der «Blick» berichtet von Serbinnen und Serben in der Schweiz, welche die Proteste in ihrem Ursprungsland unterstützen und auf einen politischen Wandel in ihrer Heimat hoffen. Sascha Mikic (30) ist eine Schweizerin mit serbischen Wurzeln. Sie verfolgt die Proteste in der Heimat ihrer Eltern seit letztem Dezember. «Ich habe schon bei früheren Demonstrationen gedacht: Da braut sich etwas zusammen. Und dann ist doch nichts passiert. Aber diesmal ist es anders. Weil gefühlt alle mitmachen.»
Link:
Serben in der Schweiz über Massenproteste:
«Ich finde es mega geil, dass Vucic endlich unter Druck kommt» (Blick)
1. Februar 2025:
Präsident Vucic findet kein Rezept gegen die Protestbewegung: Serbien steht am Scheideweg (NZZ)
Volker Pabst schreibt in der NZZ zu den Gründen der Proteste:
«Die Tragödie von Novi Sad findet so grosse Resonanz, weil ihre Bedeutung über das Vorgefallene hinausgeht. Pfusch und Korruption im Rahmen eines milliardenteuren Prestigeprojekts – der Schnellzugstrecke von Belgrad nach Budapest – offene Fragen zur Ausschreibung und der Beteiligung chinesischer Firmen, aber vor allem die Versuche von Präsident und Regierung, von eigenen Fehlern abzulenken und Verantwortlichkeiten zu vertuschen: Das steht in den Augen vieler Serbinnen und Serben symptomatisch für Missstände wie Klientelismus und Straflosigkeit, die nach mehr als einem Jahrzehnt unter Aleksandar Vucic überhandgenommen haben.»
Volker Pabst schildert zudem, wie geschickt die Protestierenden Symbolik einsetzen. So taucht auf den Demonstrationen manchmal eine Ferrari-Flagge auf, in Serbien ein ironisches Symbol für die Arroganz und den Reichtum der Eliten. Während die Serbinnen und Serben in den neunziger Jahren unter den Sanktionen litt, fuhr der Sohn von Präsident Slobodan Milosevic in seinem italienischen Sportwagen durch die Hauptstadt.
Die blutrote Hand – zum Beispiel als roter Handschuh – ist zum Symbol der Protestbewegung geworden, die der Regierung vorwirft, wegen ihrer Verantwortung für das Unglück von Novi Sad Blut an den Händen zu haben.
Diskreditierungsversuche regierungsnaher Medien kontern die Studentinnen und Studenten mit Wortspielen. Volker Pabst schreibt:
«Den Vorwurf, von ausländischen Mächten gesteuert zu sein, begegnen sie mit demonstrativer nationaler Symbolik, der serbischen Trikolore und dem Gebrauch des kyrillischen Alphabets. Der Regierungspropaganda sind die jungen Leute immer einen Schritt voraus.»
Link:
Vucic findet kein Rezept gegen die Protestbewegung: Serbien steht am Scheideweg (NZZ)
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