Natürlich kann ein Land entscheiden, aus der EU auszutreten. Das sollte aber idealerweise auf der Basis von Argumenten geschehen. Der Brexit ist ein krasses Beispiel dafür, was in einem solchen Prozess schieflaufen kann. Der Abstimmungskampf wurde geflutet mit Lügen, Desinformation und russischer Propaganda. Die Brexit-Folgen belasten den Handel und viele Betriebe gingen bankrott. Entgegen den Versprechen stieg die Netto-Einwanderung auf Rekordhöhen. Die Zuwanderung hat sich nach dem Referendum sogar verdreifacht. Sie kommt nun nicht mehr aus der EU, sondern aus anderen Teilen der Welt, zum Beispiel aus Indien oder Nigeria.
Auch vielen von denen, die einst für den Brexit stimmten, kommen zunehmend Zweifel an ihrer Entscheidung. Denn die feierlichen Versprechen Boris Johnsons und seiner Mitstreiter, Grossbritannien werde eine «neue, goldene Ära» erleben, sobald es sich nur «der Brüsseler Ketten entledigt» habe, konnte in der Folgezeit niemand einlösen vermocht.
Die grossmundig angekündigten weltweiten Handelsverträge beispielsweise sind nur sehr begrenzt zustande gekommen. Die enormen Verluste im Handel mit den Nachbarn konnten diese Verträge in keiner Weise wettmachen. Das Office for Budget Responsibility, das Amt für Haushaltsfragen, hat errechnet, dass die britische Wirtschaft allein durch den Brexit langfristig 4 Prozent ihres Volumens verlieren wird.
Den Fischern wurden Unabhängigkeit und höhere Fangquoten gegenüber europäischen Fischern versprochen. Sie wurden verraten und verkauft.
Lügengeschichten rund um den Brexit zeigen Schwachpunkte der Demokratie
Der Brexit zeigt, wie anfällig eine Demokratie für Desinformation und Lügen sein kann. Wie konnte Grossbritannien an diesen Punkt kommen? Und was können andere Demokratien davon lernen?
Eine Rolle spielt sicher das Versagen der Politiker und der Parteien im Vorfeld der Entscheidung zum Brexit und während der Umsetzung des Austritts. Aber diese Politikerinnen und Politiker wurden ja von den Wählerinnen und Wählern gewählt. Wie kommt es, dass offen lügnerische, hochgradig narzisstische Figuren wie Boris Johnson oder Donald Trump demokratische Mehrheiten finden?
Desinformation via (a)soziale Medien spielt sicher eine Rolle, und sie wird von interessierten Kreisen gezielt orchestriert. Demokratien müssen aber vertieft nach systemischen Schwachstellen suchen, die sie anfällig machen für Manipulationen.
Quelle:
5 Jahre nach Brexit:
Die Menschen in Grossbritannien spüren die radikale Abkopplung von Europa (Tages-Anzeiger, Abo)
Fünf Jahre Brexit: Wie steht Großbritannien heute da? | Fokus Europa, ORF:
Siehe auch:
Agitator, der – als Feind der Demokratie
Debattenkultur in der Demokratie
Demagogie als Gefahr für die Demokratie
Desinformation als Gefahr für die Demokratie