Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch kennt Russland sehr gut. In der «Frankfurter Allgemeinen» veröffentlichte er einen Warnruf an die sich frei nennende westliche Welt.
Die Gebiete im ukrainischen Süden und Osten, in denen schon das dritte, mancherorts das elfte Jahr Kämpfe toben, und die Gebiete, die Russland schon erobert hat, seien nur das Minimum des russischen Minimalprogramms.
Juri Andruchowytsch schreibt:
«Das Minimalprogramm ist die Liquidierung der unabhängigen Ukraine als Staat und der Ukrainer als Nation – bestenfalls durch die Umwandlung unseres Landes in ein Marionettengebilde à la Belarus‘, nur größer und reicher an Ressourcen. Nochmals: Dieses russische Programm, von dem man hier nicht wirklich hören will, ist nur das Minimalprogramm.»
Sobald Russland die Ukraine eingenommen habe, könne es zum Hauptprogramm übergehen. Das würde bedeute, «die osteuropäischen Länder allmählich in Stücke zu beißen, worauf als westliche Reaktion eine weitere Demonstration von Unentschlossenheit und Unfähigkeit folgen wird, verstärkt durch die Beschwörungen „nützlicher Pazifisten“, man dürfe den Konflikt „nicht eskalieren“ lassen.»
Juri Andruchowytsch warnt, dass in der Folge die durch die Angst vor einem nuklearen Konflikt und unendliche interne Diskussionen noch mehr als jetzt gelähmte NATO zerfallen könnte. Das schaffe die Voraussetzung, um Russlands (und wohl auch Chinas) Maximalprogramm umzusetzen: «eine grundlegende Änderung der Weltordnung, die Rückkehr zum Gesetz des Dschungels, der Untergang der Demokratien (als Staaten) und der Demokratie als System. Und schließlich: die Neue Ordnung. Der Triumph der Diktaturen und Tyranneien.»
Juri Andruchowytsch: «Das Gute unterliegt aus Mangel an Mut»
Ein Sieg Russlands werde zur globalen Katastrophe. Aber er werde vor allem ein schändliches und schreckliches Gleichnis dafür sein, wie das Böse, das objektiv keine Chance auf Sieg hatte, diesen nur deshalb errang, weil es dem Guten an Mut mangelte, sich zu rüsten.
Der russische Aggressionskrieg dauere deshalb schon so lange, weil die westliche demokratische Welt demonstrativ Angst habe, wodurch Russland als Aggressor sich zu weiteren Einschüchterungen des Westens und weiterer Vernichtung der Ukraine ermutigt fühlte.
Das russische Regime bluffe immer, schreibt Juri Andruchowytsch. Chronische Unentschlossenheit und überzogene Vorsicht seien genau das, was Russland von der früher einmal freien Welt brauche:
«Ein paar einfache Dinge sollte man im Kopf behalten. Wenn Sie keine Eskalation wollen, so hören Sie auf, sie zu fürchten. Wenn Sie Angst haben, denjenigen zu „provozieren“, der nichts anderes tut als Sie zu provozieren, dann ermutigen Sie ihn zum Weitermachen. Wenn Sie versuchen, Risiken zu vermeiden, dann gehen Sie voll ins Risiko, denn Sie demonstrieren Schwäche. Das ist, wenn man mit Russland zu tun hat, kategorisch verboten. Russland wird nie einen Starken schlagen. Einen Schwachen zu schlagen versäumt es jedoch nie.
Je mehr Sie es fürchten, desto größer wird sein Trieb, Sie anzugreifen. Und desto größer werden leider auch seine Erfolgschancen. Wenn Sie bereit sind, die Ukraine zu opfern, damit es bloß keinen „Weltkrieg“ gibt, dann kommt der Weltkrieg zwangsläufig zu Ihnen.»
Quelle:
JURI ANDRUCHOWYTSCH WARNT : Wenn ihr euch loslöst, bring ich euch um! (FAZ, Abo)
Hier ohne Paywall: https://archive.is/cFKiR
Anmerkung:
Die eindrückliche Warnung von Juri Andruchowytsch müssten sich die Demokratien des Westens zu Herzen nehmen. Der Schriftsteller beschreibt den Charakter des russischen Regimes präzis. Vor dem aggressiven Neoimperialismus Russlands scheinen viele Menschen im Westen die Augen zu verschliessen. Wir hatten in Europa das Glück einer langen Friedenszeit. Nun zur Kenntnis zu nehmen, dass eine totalitäre Macht in Europa Krieg führt, ist eine grosse Herausforderung, weil es viele Änderungen verlangt. Wir müssen uns auf diese Situation einstellen, und zum Beispiel die Unterstützung der Ukraine massiv verstärken – militärisch, finanziell und humanitär. Wir sollten die Warnung von Juri Andruchowytsch sehr ernst nehmen und allen Politikerinnen und Politikern, die das auch tun, den Rücken stärken. Appeasement hat schon in den Anfängen des Nationalsozialismus versagt (Stichwort Münchner Abkommen 1938).
Siehe auch:
Putin’s erfolgreiche hybride Kriegsführung gegen Europa
Putin’s Handlanger im Westen politisch isolieren!
Herta Müller bringt Wladimir Putin auf den Punkt
Irredentismus in Putin’s Russland als Grundlage für Aggression
Mangelhafte Unterstützung der Ukraine riskiert Eskalation
Russland strebt nach politischer Dominanz über Europa
Putinismus – Ideologie und Verschwörungstheorien