Dass sich eine neue Partei um einen populären Leader bildet, und auf Anhieb grössere Teile der Wählerschaft hinter sich schart, ist ein Phänomen, dass seit einiger Zeit verstärkt zu beobachten ist.
Berlusconi hat dieses Spiel mit seiner «Forza Italia» vorgemacht und über viele Jahre erfolgreich betrieben.
Macron hat seine «En Marche!» – Bewegung aus dem Boden gestampft und ganz auf ihn ausgerichtet. Ein klassischer Parteiapparat existiert nicht und das einzige prominente «Gesicht» der «Partei» ist der Mann mit denselben Initialen wie die Bewegung: Emmanuel Macron.
Sebastian Kurz in Österreich hat die traditionelle ÖVP ganz auf seine Person hin getrimmt, ist damit aber wohl an sich selbst gescheitert.
Geert Wilders in den Niederlanden ist ein besonders skurriler Fall. Er ist in seiner Partei PVV (Partij voor de Vrijheid, übersetzt Partei für die Freiheit) wegen deren Organisationsstruktur bis heute einziges Parteimitglied.
Und die ehemalige Kommunistin und Putin-Propagandistin Sahra Wagenknecht hat ihr «Bündnis Sahra Wagenknecht» (BSW) sogar nach ihr selbst genannt.
Leader-Parteien sind also offenbar im Aufwind. Aber warum?
Warum übertrumpfen Leader-Parteien die klassischen Volksparteien?
Für diese Entwicklung sind wohl mehrere Faktoren verantwortlich, die sich von Land zu Land zudem noch unterscheiden.
Oft geht dem Aufstieg von Leader-Parteien der Zerfall von klassischen Volksparteien voraus – zum Beispiel in Italien und Frankreich. Mitwirken könnte aber auch Social-Media-Effekte. Leader-Figuren können sich über Social-Media-Kanäle bestens vermarkten. Diese Kanäle und ihre Algorithmen kommen narzisstischen Persönlichkeiten entgegen, für die Selbstinszenierung ein zentrales Anliegen ist.
Dominique Eigenmann schreibt im Tages-Anzeiger mit Blick auch auf den Erfolg des BSW bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen.
«Manche Fachleute glauben, auch in Deutschland werde die Zukunft nach dem Ende der klassischen Volksparteien so aussehen: Charisma triumphiert über Inhalt, Empörung über Zustimmung, situatives Wählen über traditionelle Bindungen, Unstetigkeit über Stabilität. Dass Ostdeutschland hier vorausgeht, steht fest. Dazu gehört auch, dass in vielen Gemeinden zwischen Ostsee und Böhmen schon heute Parteilose die politische Arbeit verrichten.»
Quelle:
Was der AfD-Sieg für die Demokratie und Kanzler Scholz bedeutet – 5 Lehren einer historischen Wahl (Tages-Anzeiger, Abo)
Anmerkung:
Leader-Parteien unterscheiden sich fundamental von klassischen Volksparteien. In einer klassischen Volkspartei wird um politische Positionen gerungen und es gibt oft verschiedene Flügel. Das mag anstrengend sein. Es ist aber auch ein gutes Übungsfeld für den Umgang mit gegnerischen Positionen. Nicht zuletzt deshalb, weil damit oft Ambivalenzen verbunden sind. Viele Bürgerinnen und Bürger können sich nicht zu 100% mit einer Partei identifizieren. Diese Ambivalenzen auszuhalten ist jedoch demokratiepolitisch wichtig und oft eine Basis für Kompromissfähigkeit.
Bei Leader-Parteien dagegen steht das politische Programm in der Regel weitgehend fest und ist auf die Leitfigur zugeschnitten. Das gibt nach aussen oft ein geschlosseneres, klareres Bild. Es ist wie ein Produkt, das man im Supermarkt wählen kann und wenn es einem nicht mehr passt, wählt man das Konkurrenzprodukt.
Es stellt sich aber die Frage, wie kompatibel eine Leader-Partei mit einer Demokratie ist. Denn sie hat selber keine demokratische Struktur und ist eher ein Marketing-Vehikel.
Siehe auch:
Debattenkultur in der Demokratie
Demokratie – ihre typischen Merkmale