Antisemitismus ist eine bestimmte Einstellung gegenüber jüdischen Menschen, die sich in Judenhass, Judenfeindschaft und Judenverfolgung zeigen kann. Antisemitismus bedroht nicht nur einzelne Menschen, sondern die ganze Demokratie. Er setzt die verfassungsgemässe Gleichheit aller Bürger ausser Kraft. Er stellt abstrakten Gefahren und der Komplexität moderner Gesellschaften ein klares Feindbild gegenüber und ist durchdrungen von Verschwörungstheorien.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen einem älteren, religiös fundierten Antijudaismus und einem moderneren, sich auf Rassenvorstellungen gründenden Antisemitismus.
Judenhass ist ein altes Phänomen, das in religiösen Ressentiments wurzelt. Dieser religiöse Antijudaismus kommt in einer christlichen und muslimischen Variante vor.
Der christliche Antijudaismus ist stark geprägt von der Vorstellung der Juden als «Christusmörder». Hier wurden die Juden als mächtig und gefährlich angesehen. Dieser christliche Antijudaismus lehnt Juden hauptsächlich aus religiösen Motiven ab und grenzt sie darum auch sozial und politisch aus. Er prägte die Kirchengeschichte von der Spätantike bis in die Neuzeit.
Der muslimische Antijudaismus speist sich aus Ereignissen im Frühislam. Mohammed war zu Beginn seiner Laufbahn als Prophet in Mekka den jüdischen Traditionen noch zugeneigt. Das änderte sich nach seinem Auszug nach Medina, weil die dortigen jüdischen Stämme seine Lehre nicht annahmen. In kriegerischen Aktionen gelang es ihm, die Juden dort zu vertreiben und Hunderte von ihnen zu töten. Im Islam wurden und werden Juden deshalb auf dieser Grundlage als schwach, feige und verachtenswert dargestellt.
Der moderne Antisemitismus
Eine neue Form des Judenhasse gewann mit zunehmender Assimilation der Juden im 19. Jahrhundert als moderner Antisemitismus an Bedeutung. Das Verhältnis zu den Juden wurde in steigendem Masse als Rassenfrage aufgefasst. Den Juden wurde die Schuld für die Schattenseiten der Modernisierung und des Kapitalismus in die Schuhe geschoben.
Im Verlauf des 19. Jahrhundert stellten in verschiedenen Ländern die Gegner von Demokratisierung, Säkularisierung und Modernisierung die Behauptung auf, dass hinter dem aufkommenden Liberalismus und Sozialismus die Juden steckten. Im früheren 20. Jahrhundert steckten die Juden für Antisemiten paradoxerweise sowohl hinter dem Kapitalismus wie auch hinter dem Bolschewismus. So liessen sich abstrakte, schwer fassbare, als Gefahr wahrgenommene Vorgänge einem klaren Feindbild zuordnen.
Das passende Buch dazu erschien im Jahr 1903 in Russland: die „Protokolle der Weisen von Zion“. Diese rein fiktionale Schrift sollte eine internationale Verschwörung von Demokraten, Sozialisten und Juden in dokumentarischem Stil beweisen. Möglicherweise entstand diese Fälschung unter Beteiligung des Geheimdiensts des Zaren. Die «Protokolle» wurden zu einem Kernelement im antisemitischen Weltbild des Nationalsozialismus.
Zwischen dem traditionellen, religiös fundierten Judenhass und dem modernen Antisemitismus gibt es einen bemerkenswerten Unterschied: Im traditionellen, religiös fundierten Judenhass konnten Juden der Verfolgung zum Teil durch Konversion zum Christentum entgehen. Im biologistischen, pseudowissenschaftlich begründeten modernen Antisemitismus geht das nicht. Wenn Jude sein als «Rasse» angesehen wird, ist dieses Merkmal nicht veränderlich und nicht ablegbar, weil angeblich biologisch festgelegt.
Verschiedene Gesichter des modernen Antisemitismus
Der moderne Antisemitismus zeigt sich in verschiedenen Varianten. Es gibt ihn politisch von rechts, von links und aus einer islamistischen Szene heraus. Als Hauptströmungen können aufgeführt werden:
► Antisemitismus ist ein zentrales Element im Rechtsextremismus.
Die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden ist im Rechtsextremismus von fundamentaler Bedeutung: Sie ist die überzeitliche Konstante und das einigende Band zwischen verschiedenen Neonazi-Gruppen. Antisemitismus im Rechtsextremismus zeigt sich in vielfältigen Erscheinungsformen wie der Zerstörung jüdischer Grabstätten, in Anschlägen gegen jüdische Einrichtungen sowie der Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens. Es kommt aber auch zu antisemitischen politischen Kampagnen bis hin zur Verbreitung antijüdischer und antisemitischer Bilder, Symbole oder Texte.
Der Antisemitismus ist neuerdings auch ein Bindeglied zwischen Rechtsextremen und Islamisten.
► Antisemitismus von Links zeigt sich in letzter Zeit deutlicher.
Der Antisemitismus von Links lief lange Zeit etwas im Hintergrund. Er äusserte sich in der Regel weniger deutlich und weniger plakativ als derjenige von rechts. Allerdings zeigt er sich viel prägnanter seit dem Pogrom der Hamas am 7. Oktober 2023.
Antisemitismus ist eine Welterklärung, die für komplexe Probleme einfache Antworten bietet – Gut und Böse sind klar verteilt und die Juden sind an allem schuld. Der linke Antiimperialismus ist hier ausgesprochen anschlussfähig, geht er doch ebenso von einem einfachen Gut-Böse-Schema aus. Es gibt nur die immer bösen Unterdrücker und die immer guten Unterdrückten. Die Juden und Israel werden dabei unterkomplex der bösen Seite zugeschlagen.
Siehe dazu auch:
Wie Antiimperialismus zu Antisemitismus führt
Linker Antisemitismus wird auch befeuert durch akademische Theorien aus der Identitätspolitik, die an Universitäten gelehrt werden, insbesondere durch den Postkolonialismus und den Queer-Feminismus.
Siehe dazu:
Postkolonialismus als Quelle von Judenhass
Antiimperialismus & Postkolonialismus befeuern linken Israelhass
Wie Postkolonialismus Antisemitismus fördert und Terror legitimiert
Wie der queere Feminismus im Antisemitismus gelandet ist
►Muslimischer Antisemitismus wird in Europa oft von Linken negiert
In muslimischen Ländern ist Antisemitismus weit verbreitet. Während Judenhass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Shoa weltweit weitgehend geächtet war, blieb er im arabischen Raum überwiegend unreflektiert und stark verbreitet. Mitverantwortlich dafür war die intensive antisemitische Propaganda, die das Nazi-Regime im Nahen Osten entfaltete. Sechs Jahre lang, von 1939 bis 1945, sendet der Nazi-Radiosender Zeesen aus dem Umfeld von Berlin antisemitische Propaganda auf Arabisch und Persisch. Die Nazis knüpften dabei an den religiös bedingten Judenhass in der muslimischen Welt an und verbanden ihn mit dem neuzeitlichen Antisemitismus aus dem Westen. So war und ist die antisemitische Lügengeschichte der «Protokolle der Weisen von Zion» auch im arabischen Raum sehr verbreitet und taucht zum Beispiel in der Gründungsakte der Terror-Organisation Hamas auf.
Der muslimische Antisemitismus, den Migranten nach Europa mitbringen, wird von linken Kreisen in der Regel glatt negiert und Kritik daran als Islamophobie gebrandmarkt. Zwar sind nicht alle Muslime Antisemiten, aber Antisemitismus ist ein fester Bestandteil im Islamismus und auch in weiteren muslimischen Milieus.
Siehe dazu:
Islamismus als antidemokratische Ideologie
Judenhass der Nazis und der Hamas im Vergleich
Nazi-Propaganda schürte Judenhass im Nahen Osten
Buchtipp: «Nazis und der Nahe Osten – Wie der islamische Antisemitismus entstand»
Abschliessende Bemerkungen:
► Antisemitismus bietet auch eine Brücke zwischen Linken, Rechten und Islamisten, die manchmal sogar auf antiisraelischen Demonstrationen gemeinsam auftreten.
► Antisemitismus ist sowohl von Rechten, Linken und Islamisten stark von Verschwörungstheorien geprägt. Siehe dazu: