Feminismus ist eine vielgestaltige Bewegung mit grossen Verdiensten, was die Gleichberechtigung von Frauen betrifft.
Unter dem Einfluss von Identitätspolitik – und speziell von Postkolonialismus und Gender-Theorien – ist allerdings ein woker, queerer Feminismus inzwischen dominierend geworden. Der klassische Feminismus wurde stark an den Rand gedrängt.
Der woke, von Identitätspolitik geprägte Feminismus hat eine Radikalisierung durchgemacht. Das führt zu irritierenden Entwicklungen – zum Beispiel zu einer absurden Annäherung an Islamisten und zum Aufkommen antisemitischer Haltungen.
Karin Stögner ist Professorin für Soziologie an der Universität Passau. Sie forscht seit Jahren zum Feminismus. Im Gespräch mit der «Jüdischen Allgemeinen» geht sie auf die brutale Radikalisierung im Feminismus ein. Sie wird darauf angesprochen, dass viele Feministinnen die frauenfeindliche Realität der Hamas-Gewalt an israelischen und jüdischen Frauen am 7. Oktober 2023 leugnen.
Die meisten dieser Feministinnen glauben nicht, dass sie antisemitisch sind, sagt Karin Stöber:
«Sie haben keinen Begriff vom aktuellen Antisemitismus, sondern anerkennen ihn höchstens als ein geschichtliches Problem in Verbindung mit dem Nationalsozialismus. Modernisierte Formen werden nicht erkannt, schon gar nicht solche, die sich über eine Umwegkommunikation als »Israelkritik« tarnen. Auch Judith Butler sagt, jede Form von Antisemitismus wie auch jede Form von Rassismus müsse bekämpft werden. Dass der Hass auf Israel sich in Angriffe auf Juden und Jüdinnen übersetzt, wird nicht verstanden. Doch würde ich trotzdem nicht sagen, dass all diejenigen, die in Campus-Proteste involviert sind und sich in vorgeblicher Palästina-Solidarität engagieren, bewusste Antisemiten sind.»
Viel Unwissen im identitätspolitischen Feminismus
Sie seien häufig unwissend, antwortet Karin Stöber auf die Frage, was diese Feministinnen dann seien. Es gehe ihnen darum, bei etwas dabei zu sein, sich zu beteiligen:
«Sie meinen, auf der `richtigen Seite der Geschichte` zu stehen. Es geht dabei mehr um sie selbst als um die ‘Befreiung Palästinas’, eines Ortes, von dessen Geschichte und Komplexität sie ebenso wenig Ahnung haben, wie über die Herrschaftsverhältnisse in Gaza. Die Palästinenser werden zu Konstruktionen, Hülsen, die man vor allem mit dem eigenen Unwohlsein füllt. Es geht um eine antiwestliche Selbstbespiegelung im Westen.»
Quelle:
ANTISEMITISMUS:
»Für Palästina gegen das eigene Unwohlsein« (Jüdische Allgemeine)
Anmerkungen:
☛ Zum Thema «antiwestliche Selbstbespiegelung» des Westens beziehungsweise zum westlichen Selbsthass hat Susanne Schröter ein lesenswertes Buch geschrieben:
„Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmassung und Selbsthass“, von Susanne Schröter, Herder Verlag 2022. Siehe dazu: Buchbesprechung und Zitate.
☛ Zum Thema Postkolonialismus & Antisemitismus siehe:
Die «antiwestliche Selbstbespiegelung» und den hochgradig einseitigen Israelhass findet man nicht nur im identitätspolitischen Feminismus, sondern ebenso im Postkolonialismus. Erschütternd und unakzeptabel ist, dass diese Ideologien inzwischen fest an Universitäten etabliert sind und dort gelehrt werden. Siehe dazu:
Wie Postkolonialismus Antisemitismus fördert und Terror legitimiert
Postkolonialismus steht zu Recht in der Kritik
Postkolonialismus als Quelle von Judenhass
Harvard Universität: Postkolonialismus & Antisemitismus Hand-in-Hand
☛ Queerer Feminismus und Postkolonialismus gehören zum Kontext der Identitätspolitik. Hier dazu einführende Beiträge:
Identitätspolitik als Gift für die Demokratie
Identitätspolitik unterminiert Wissenschaft