Die Demokratien des Westens stehen vor grossen Herausforderungen und es ist nicht klar, ob die Bevölkerung und die politischen Eliten die Zeichen der Zeit erkannt haben. Es spricht viel dafür, dass sie von Finnland eine ganze Menge lernen könnten. Der Tages-Anzeiger hat ein sehr interessantes Interview geführt mit dem finnischen Präsidenten Alexander Stubb.
Finnland blicke seit dem Ukraine-Krieg gebannt auf seinen Nachbarn Russland, stellt der Interviewer fest, und fragt Alexander Stubb danach, was er von der Zukunft erwarte.
Die kompakte Antwort:
«Drei Faktoren sind entscheidend.
Die russische Führung wird sich ihrem Wesen nach in den kommenden Jahren nicht verändern. Wer auch immer Russland regiert, wird kein liberaler Demokrat sein. Auch wenn es nicht mehr Wladimir Putin sein sollte, erwarten wir einen Hardliner.
Zweitens wird Russland seine Bewaffnung weiter vorantreiben und die Kriegswirtschaft beibehalten. Das Land wird kontinuierlich versuchen, uns weiter einzuschüchtern, anderen die Verantwortung zuzuschieben und hybride Angriffe durchzuführen.
Und es wird drittens weiterhin versuchen, den ukrainischen Staat zu vernichten. An diesen Prämissen richtet sich unsere Russland-Politik aus.»
Man müsse aber sehr aufpassen, dass man sich nicht in einen Kriegseifer hineinrede. Finnland vermeide das:
«Es geht darum, weniger zu reden und mehr zu tun. Ausserdem halten wir es für sehr unwahrscheinlich, dass Russland Artikel 5 des Nato-Vertrags testen wird.»
«Seid wie Finnland: ruhig, cool und gelassen.»
Der Interviewer weist darauf hin, dass Putin immer wieder mit Atomwaffen droht und fragt, wie die Unterstützer der Ukraine damit umgehen sollen.
Antwort Alexander Stubb:
«Seid wie Finnland: ruhig, cool und gelassen. Zuckt nicht zurück. Lasst euch nicht provozieren. Die Geschichte zeigt: Je mehr du mit nuklearen Waffen drohst, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du sie tatsächlich einsetzt….Bereitet euch auf das Schlimmste vor, damit es nicht passiert.»
Energiewende und Zeitenwende seien zwei Schlüsselbegriffe der aktuellen Politik. Das sage etwas aus über unsere Zeit:
«Es passieren gerade sehr grosse Dinge. Wir wissen nicht genau, wo uns diese Veränderungen hinführen, aber wir sind an einem dieser historischen Momente, an dem sich die internationalen Beziehungen grundlegend ändern….
Wir wissen noch nicht, wo das hinführt. Es gibt enorme Machtkämpfe, Wettstreit auf technologischer und ökonomischer Ebene. Energieversorgung, Demografie und Klimawandel: Wenn wir diese grossen Aufgaben nicht gemeinsam in den Griff bekommen, sind wir alle miteinander geliefert. Meine Vermutung ist, dass es etwa zehn Jahre dauern wird, bis sich die Dinge neu sortiert haben.»
Quelle:
Finnlands Präsident im Interview: «Bereitet euch auf das Schlimmste vor, damit es nicht passiert» (Tages-Anzeiger, Abo)
Anmerkungen:
Finnland hat offenbar einen Präsidenten, der die kritische Situation für westliche Demokratien nicht schönredet, aber auch nicht in Panik verfällt. Das ist eine sehr angemessene Haltung. Finnland bereitet sich aber auch pragmatisch vor auf schwierigere und gefährlichere Zeiten. Viele Länder könnten davon lernen. Wir müssen uns den Herausforderungen an vielen Fronten stellen, aussenpolitisch und innenpolitisch. Eine ernsthafte und offene Diskussion über die Konsequenzen dieser Zeitenwende wäre ein guter Anfang. Und es wäre notwendig, dass sich die Freundinnen und Freunde von Demokratie und Rechtsstaat besser vernetzen.
Siehe dazu auch:
Viele Herausforderungen für westliche Demokratien – packen wir das?