In der Türkei kann man immer wieder eindrücklich beobachten, wie eine Scheindemokratie funktioniert. Die politisch gesteuerte türkische Justiz hat Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu verhaftet, den stärksten Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Vorgänge in der Türkei sind etwas aus den Schlagzeilen gefallen, seit Trump im Weissen Haus täglich für Turbulenzen sorgt. Trump und Erdogan sind beide Narzissten vom Scheitel bis zur Sohle, doch Trump hat einfach die bessere Position um permanent im Zentrum der Nachrichten zu stehen und damit sein unstillbares Ego zu füttern.
Dass Erdogan seinen stärksten Gegner mit fadenscheinigen Gründen aus dem Verkehr zieht, ist aber schon ein Coup. Und es ist auch ein Schwächezeichen. Offenbar weiss der Autokrat Erdogan sich nicht mehr anders gegen Imamoglu zu helfen.
Imamoglu hätte in fairen Wahlen gute Chancen, Erdogan zu schlagen
Imamoglu hat als Bürgermeister von Istanbul gezeigt, dass er Erdogan und seinen Unterstützern politisch gefährlich werden kann. Es ist typisch für Scheindemokratien, dass die herrschende Clique die Justiz und die Verwaltung mit loyalen Anhängern besetzt, um mit diesen instrumentalisierten Institutionen die Opposition unter Druck zu setzen. Neben Imamoglu wurden auch rund 100 weitere Personen aus seinem politischen Umfeld verhaftet. Zudem hat die Istanbul-Universität Imamoglu den Hochschulabschluss aberkannt. Dieser ist in der Türkei Voraussetzung zur Kandidatur für das Präsidentenamt. Die Aberkennung ist dubios und kommt präzis zu einem Zeitpunkt, der perfekt ist für Erdogan. Ekrem Imamoglu sollte durch seine Partei in wenigen Tagen zum Herausforderer Erdogans gekürt werden.
Mit diesen Massnahmen verstärken sich in der Türkei erneut die autokratischen Elemente.
Quellen:
Politbeben in Istanbul:
Grösster Erdogan-Kontrahent verhaftet – Strassen gesperrt (Tages-Anzeiger)
Istanbuls Bürgermeister İmamoglu: Türkische Behörden verhaften wichtigsten Erdogan-Gegner (Spiegel online)
Anmerkung:
► Die Instrumentalisierung von Justiz und Verwaltung ist eine typische Strategie in Scheindemokratien. Durch die Unterwanderung der Gewaltenteilung soll die Opposition so geschwächt werden, dass ihre Chancen, Wahlen zu gewinnen, drastisch reduziert werden.
Siehe dazu:
Gewaltenteilung – unverzichtbar für die Demokratie
Scheindemokratien – ihre typischen Merkmale
► Autokraten bedienen sich allerdings nicht selten auch der umgekehrten Strategie: Sie unterstellen einer Justiz, die ihre Machtansprüche begrenzen will, dass sie politisch motiviert wie. Diesen Trick hat US-Präsident Donald Trump seit Jahren drauf. Er beschuldigt Staatsanwälte und Gerichte, die seine Angriffe auf den Rechtsstaat eindämmen wollen, sie würden eine Hexenjagt auf ihn veranstalten. Und die Anhänger von Trump fallen auf diesen Trick herein und glauben ihrem Anführer weitgehend blind.
► Weil Autokraten wie Trump die «Zone mit Scheisse fluten», wie Trump-Berater Steve Bannon empfohlen hat – ist es für viele Bürgerinnen und Bürger nicht einfach zu unterscheiden, wo in diesen Auseinandersetzungen um Demokratie und Rechtsstaat die Wahrheit liegt und wo die Lüge. Voraussetzung für diese Entscheidung ist der Wille, überhaupt entscheiden zu wollen. Dieser Wille ist vielen abhandengekommen, weil das Fluten der Zone mit Scheisse – also mit Lügen, Bullshit, täglichem Drama – ihnen die Orientierungsfähigkeit genommen hat. Unumgänglich ist es deshalb, dass Bürgerinnen und Bürger sich klarmachen, was die Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaat sind. Nur so können Sie beurteilen, wer sich in einem demokratischen Rahmen bewegt und wer nicht.
Siehe dazu:
Debattenkultur in der Demokratie
Demokratie – ihre typischen Merkmale