Der Postkolonialismus befasst sich kritisch mit der Geschichte des europäischen Kolonialismus und Imperialismus sowie deren Auswirkungen bis in die Gegenwart. Das ist grundsätzlich ein wichtiges Anliegen. Wie bei anderen Theorien der Identitätspolitik ist gut gemeint aber nicht unbedingt auch schon gut gemacht. Im Postkolonialismus gibt es viele Einseitigkeiten und blinde Flecken. Das hat einschneidende Folgen, vor allem weil der Postkolonialismus sich an vielen Universitäten etabliert hat. Das zeigte sich besonders deutlich nach dem Massaker der Hamas in Israel und dem dadurch ausgelösten Krieg im Gazastreifen. So hat zum Beispiel ein Dozent des Nahost-Instituts der Universität Bern das Hamas-Massaker auf X (vormals Twitter) freudig begrüsst und an der Universität Basel bezeichneten Studierende postkolonialistisch geprägten Studienganges «Urban Studies» Israel als kolonialistischen Apartheidstaat, was ein gehöriges Mass an Verblendung voraussetzt.
In den USA kam es an vielen Universitäten zu propalästinensischen Aktionen mit deutlich antisemitischem Einschlag und nun gibt es in der woken Bubble sogar einen Trend, den Terroristenführer Osama Bin Laden zu preisen.
Postkolonialismus und Osama Bin Laden – passt offenbar zusammen
Auf TikTok und anderen sozialen Medien wird gerade ein Propagandabrief des Terrorfürsten Osama Bin Laden gefeiert. Und das mit einem Slang, der direkt aus der postkolonialen Küche stammt. Osama Bin Laden rechtfertigt in diesem Brief die Anschläge vom 11. September 2001 mit Opfermythen und antisemitischem Hass. Er inszeniert dabei die Terroristen als Freiheitskämpfer gegen die USA und Israel. Dass der Slang des Postkolonialismus so gut zu einer islamistischen und dschihadistischen Propagandaschrift passt, muss als Alarmsignal aufgefasst werden. Was läuft da schief an den Universitäten?
Zahlreiche Nutzer kommentierten auf X diesen absurden Trend, den sie als besorgniserregend werten, so etwa der Politikwissenschaftler Carlo Masala: «Cool. In den USA entdeckt Generation Z Osama Bin Laden. Stand nicht auf meiner Bullshitbingo-Karte.»
Ebenfalls auf X kommentierte der Migrationsforscher Ruud Koopmans:
«Weite Teile der jüngeren Generation Amerikas (ich fürchte, in Europa ist es nicht viel anders) wurden durch postkoloniale und critical–race-Theorien so sehr einer Gehirnwäsche unterzogen, dass sie nun Osama Bin Laden als wegweisenden postkolonialen Theoretiker entdecken. Ihr erntet, was ihr sät, liebe akademische Kollegen.»
Elena Panagiotidis bringt den sehr grossen blinden Fleck der Postkolonialismus-Fans in der NZZ auf den Punkt:
«Es sollte nicht erstaunen, dass viele derjenigen, die den Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilisten als legitimen Freiheitskampf rechtfertigten, nun auch den Terroristen bin Ladin als Befreier feiern. Diejenigen, die sich ob dessen Hasspamphlet erleuchtet zeigen, dürften wohl einem woken, studentischen, von postkolonialen Überzeugungen getragenen Umfeld entstammen.
Wenn sie schon kein Problem mit Terror und Antisemitismus haben, sollten sie bin Ladins Brief jedoch bis zum Ende lesen: Denn dieser fordert ein Leben unter der Scharia sowie ein Verbot von Ehebruch und Homosexualität. Das Leben, wie es die jungen Tiktok-Nutzer kennen, wäre unter einer Hamas-Regierung oder einem bin Ladin schnell ein anderes. Oder wie es ein User auf Tiktok ausdrückte: «Der amerikanische Kapitalismus und die Demokratie sind nicht perfekt, aber sie sind genau das, was euch erlaubt, eure lächerliche Meinung auf Tiktok zu äussern.»
Quellen:
«Hat mir die Augen geöffnet“ – Jetzt feiern woke Teenager Osama Bin Laden» (WELT)
«Usama bin Ladins antisemitischer „Brief an Amerika“ feierte auf Tiktok ein Revival» (NZZ)
Anmerkungen zu Postkolonialismus / Identitätspolitik:
☛ Der Postkolonialismus ist nur eine der verschiedenen Theorien, die sich in einer aus dem Ruder gelaufenen Identitätspolitik entfalten. Eine Kritik der postkolonialen Theorien findet sich zum Beispiel hier:
Helen Pluckrose und James Lindsay: „Zynische Theorien – Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt“, von C. H. Beck Verlag 2022.
☛ Weitere Infos zur Identitätspolitik und ihren Folgen:
Identitätspolitik versus Universalismus
Identitätspolitik unterminiert Demokratie und Rechtsstaat
Was Identitätspolitik mit Religion verbindet
Identitätspolitik und Postfaktualismus greifen Basis der Wissenschaft an